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Linus Giese

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Ein Blick zurück

Ich machte kürzlich bei der #2009vs2019-Challenge mit – als ich durch alte Fotoalben schaute, fiel mir zum ersten Mal selbst so richtig auf, wie sehr ich mich in den vergangenen Jahren veränderte. Auf einer englischen Seite wird mein Foto unter der Überschrift „22 People From #10YearChallenge Who Have Changed Beyond Recognition“ auf Platz 4 geführt. Dazu schreiben die Autoren und Autorinnen: But if you look at the photos marked with #2009vs2019 you’ll realize that some people have not only grown older, lost weight, or changed their hair color, it seems that they have been literally reborn. So, looking at their photos you just want to exclaim, “I can’t believe that’s the same person!”

Und tatsächlich fühlt sich mein Leben in den vergangenen Monaten wie eine Wiedergeburt an – oder vielleicht sogar: wie eine Neugeburt. Seit bald einem Jahr nehme ich Testosteron und seitdem hat sich vieles bei mir verändert und viele dieser Veränderungen machen mein Leben mittlerweile deutlich erträglicher und glücklicher.

Zunächst bekam ich das Testosteron als Depotspritze alle 6 Wochen, mittlerweile ist der Abstand zwischen den Spritzen größer geworden – nun gehe ich alle elf Wochen zum Endokrinologen, um mir die nächste Dosis Testosteron spritzen zu lassen. Das Testosteron bekomme ich als ölige Lösung in den Gesäßmuskel gespritzt – das ist schmerzhaft, aber aushaltbar. Bei jedem zweiten Termin, wird mir außerdem Blut abgenommen, um zu überprüfen, wie hoch mein Testosteronspiegel ist und wie der restliche Körper die Hormonzufuhr verträgt. Die Veränderungen der letzten 12 Monate haben sich stets schrittweise bemerkbar gemacht: bereits nach einigen Wochen befand ich mich im Stimmbruch, später begann sich meine Klitoris spürbar zu verändern – sie schwoll zu einem kleinen Mini-Penis heran. Was hat sich noch getan? Die Körperfettverteilung verändert sich: ich habe fast eine Körbchengröße Brustumfang verloren. Stattdessen sprechen mich viele auf meine breiten Schultern an und fragen, ob ich denn trainiere, um so fit auszusehen.

Was die Hormone psychisch mit mir machen, ist schwer zu sagen. Ich merke, dass meine Stimmung am Ende eines Intervalls häufig kippt: im Laufe der zehnten Woche bin ich oft müde, antriebslos und gereizt, und ich werde schneller krank als sonst. Ansonsten habe ich kürzlich die ersten Barthaare über meiner Oberlippe entdeckt – seit vier Wochen nehme ich Minoxidil, um den Bartwuchs zu beschleunigen. Bisher leider noch ohne große Erfolge, aber auch ohne gravierende Nebenwirkungen.

Ich bin gespannt darauf, welche Veränderungen das zweite Jahr Testosteron so mit sich bringen werden. Was ich in den vergangenen 12 Monaten gemerkt habe: dass ich mich sehr viel mit mir selbst, mit den Veränderungen meines Körpers und meinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen beschäftige. Zwischendurch muss ich immer aufpassen, nicht nur in meinem Kopf zu sein, sondern auch zu leben. Wenn ich zurückblicke auf diesen Menschen, der im Rock und etwas verloren im Wald steht, wünschte ich, ich könnte erklären, was eigentlich genau zu meiner Neugeburt führte. Aber ich kann es nicht wirklich – es war eine Mischung vieler Faktoren: ich überwand ganz viel Scham und Angst und hatte dabei tolle Unterstützung. Als ich zum ersten Mal meinen Linus-Becher zeigte, konnte ich noch mit niemandem darüber sprechen. Aber ich wohnte bei zwei Menschen, die das Foto des Bechers im Internet sahen und danach meinen Namen auf ihrem Klingelschild änderten – ohne Nachfragen und ohne den Wunsch nach Erklärungen. Danach outete ich mich auf der Arbeit, anschließend fand ich eine Therapeutin und im Februar 2018 begann ich damit, Hormone zu nehmen. Ich hatte viel Glück bei meinem Weg bisher und hoffe, dass meine Wünsche auch 2019 in Erfüllung gehen.

Aber es gibt auch immer noch Baustellen: ich möchte lernen, selbstbewusster aufzutreten. Ich möchte an meiner Körperhaltung arbeiten, an meiner Selbstsicherheit. Ich fühle mich tagtäglich wohler mit meinem Körper, kann mir aber nicht vorstellen jemanden zu finden, der sich mit mir wohl fühlen könnte. Es fehlt mir an Selbstvertrauen, vor allem auch an Vertrauen in meine eigenen Impulse, Bedürfnisse und Wünsche. Es liegt noch viel Arbeit vor mir, aber das fühlt sich gerade eigentlich ganz okay an.

Wie funktioniert das eigentlich mit der Namensänderung?

Für viele trans Menschen ist die offizielle Änderung ihres Vornamens und Personenstands ein wichtiger Schritt. Doch wie läuft so eine Änderung eigentlich genau ab? Und was für ein Aufwand und welche Kosten sind damit verbunden?

Als ich online zum ersten Mal erzählte, dass ich Linus bin, habe ich das spontan und voller Angst und Panik getan. Jahrelang dachte ich, ich könnte diesen Schritt niemals gehen. Und dann wurde mir irgendwann ganz plötzlich klar, dass ich nicht weiterleben kann, wenn ich diesen Schritt nicht gehe. Ganz ähnlich war es mit meinem Wunsch meinen Namen auch offiziell zu ändern – monatelang dachte ich, mir fehlt die Kraft dafür, bis ich irgendwann in einer Beratungsstelle saß und voller Angst und Panik sagte: „Mein einziger großer Wunsch gerade ist, endlich auch offiziell meinen Namen zu ändern.“

Wie gehe ich vor, wenn ich meinen Vornamen und Personenstand ändern möchte?

trans Menschen, die ihren Vornamen und Personenstand ändern wollen, müssen dafür bei einem beliebigen Amtsgericht einen formlosen Antrag einreichen. Dem Antrag beigefügt werden sollte ein sogenannter transsexueller Lebenslauf. Nach Einreichen dieses Antrags, werden vom Gericht zwei Gutachten in Auftrag gegeben, in denen die Gutachter*innen darlegen müssen, dass die betroffene Person sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt und sich dieses Gefühl auch nicht mehr ändern wird. Es ist möglich, sich einen Gutachter oder eine Gutachterin zu wünschen, für das zweite Gutachten bekommt man jemanden zugeteilt. Es ist von Fall zu Fall unterschiedlich, wie lange es dauert, ein Gutachten zu erstellen – es hängt ganz davon ab, wie schnell Termine vergeben werden, wie lang die Wartezeit ist und wie viele Sitzungen benötigt werden. Ich habe schon gehört, dass es Verfahren gab, die in vier Monaten durch waren, während andere eineinhalb Jahre dauerten.

Kosten des Verfahrens

Die Kosten des Verfahrens müssen von den Antragstellern selbst getragen werden und schwanken zwischen 1000€ und 4000€.  Diese Schwankungen sind sicherlich auch damit zu erklären, dass unterschiedlich viele Sitzungen für die Erstellung eines Gutachtens benötigt werden – für eine Sitzung zahlt man übrigens einen Stundensatz von 100€.

In bestimmten Fällen kann dem Antrag ein Formular für die Beantragung der Prozesskostenbeihilfe beigelegt werden.  Für die Prozesskostenbeihilfe kommen diejenigen in Frage, die wenig Geld verdienen oder diejenigen, die so hohe Ausgaben haben, dass ihnen im Monat zu wenig bleibt, um die Verfahrenskosten selbst zu tragen. Die Bewilligung für Prozesskostenbeihilfe kann jedoch im laufenden Verfahren wieder zurückgezogen werden – falls sich die finanziellen Umstände ändern.

Kritik

Für etwas, das eigentlich die eigene Entscheidung eines erwachsenen Menschen  sein sollte und im Prinzip ein simpler Verwaltungsakt ist, ist also ein immenser Aufwand nötig: das Verfahren kostet Zeit, Geld und Kraft. Diese Tatsache führt immer wieder zu Kritik am aktuellen Verfahrensprozedere.

Was zudem immer wieder kritisiert wird, ist die Art und Weise der Gutachtenerstellung – wie kann ich beweisen, dass ich trans genug bin, um meinen Personenstand ändern zu lassen? Ist meine Frisur trans genug? Meine Kleidung? Mein Auftreten? Mein Leben? Bin ich noch trans genug, wenn ich zur Anhörung nicht meinen Binder anziehe? Das sind alles Fragen, die mich manchmal nachts wach liegen lassen.

Wie schaut es eigentlich in anderen Ländern aus?

Das Verfahren ist nicht in allen Ländern so kompliziert, wie hier. In Argentinien, Dänemark, Malta, Irland oder auch Norwegen können trans Menschen ohne gerichtlichen Beschluss und ohne Gutachten ihren Vornamen und ihr Geschlecht ändern.

Übrigens: auch cis Personen müssen für eine Namensänderung zahlen!

Zuletzt bin ich immer wieder über Kommentare gestolpert, in denen Menschen schrieben, dass auch cis Personen für eine Namensänderung zahlen müssten. Das ist natürlich korrekt! Wer beschließt, dass er jetzt nicht mehr Peter heißen möchte, sondern lieber Klaus, muss für diese Namensänderung zahlen. Der Unterschied ist aber, dass Peter für seinen Wunschnamen nicht zwei Gutachten in Auftrag geben muss und deshalb bedeutend weniger zahlen muss.

Habt ihr noch Fragen?

Ich habe bisher den Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt und werde nun die nächsten Schritte in Angriffe nehmen, über die ich euch hier gerne weiterhin auf dem Laufenden halten kann.

Habt ihr darüber hinaus noch Fragen?

Der Kampf gegen die Hilflosigkeit

Ich wünschte, ich müsste diesen Text nicht schreiben. Aber ich entschied mich dazu, es dennoch zu tun, da ich die Erfahrung machte, dass mir eine größtmögliche Offenheit immer geholfen hat. Um es kurz zu machen: Es geht um die Spendenaktion, die Freunde und Freundinnen von mir vor fast zwei Monaten ins Leben riefen und es geht darum, warum ich das gesammelte Geld nicht für einen Anwalt ausgeben werde.

Es ist fast acht Monate her, dass ich online zum ersten Mal zur Zielscheibe wurde. Ich erinnere mich noch gut, wie schockiert ich über die Beschimpfungen war und wie bedroht ich mich gefühlt habe. Der Trollangriff fühlte sich wie eine Welle an, die über mich hinwegschwappte. Damals glaubte ich naiverweise noch, dass diese Welle irgendwann zu Ende sein muss. Ich glaubte, dass diese Menschen irgendwann schon wieder den Spaß daran verlieren, mich zu verspotten.  Jetzt weiß ich, dass ich das völlig falsch eingeschätzt habe.

Einer von ihnen fragte mal, wann ich endlich verstehen werde, dass das Problem nicht ist, dass ich trans bin, sondern meine aggressive  Selbstdarstellung. Ein anderer sagte, der Hass würde sofort aufhören, wenn in meinem Profil nicht mehr der Satz steht: „Some men have vaginas, get over it.“ Mittlerweile verstehe ich, dass nicht ich das Problem bin. Das Problem ist, dass das, was ich mache, Aufmerksamkeit bekommt – meine Tweets werden geteilt, gefavt und kommentiert. Ich werde dazu eingeladen, Artikel zu schreiben, im Radio zu sprechen oder Vorträge zu halten. Für die Trolle scheint es eine Bedrohung zu sein, dass etwas, das sie selbst so sehr ablehnen, auf so viel Interesse und Bestätigung stößt. Und natürlich: für jemanden, der sein Mann-Sein sein ganzes Leben lang über seinen Penis definiert hat, ist es auch eine Bedrohung, wenn ich sage: ich bin ein Mann, auch wenn ich eine Vagina habe. In den Augen der Trolle verdiene ich nicht die Aufmerksamkeit, die ich erhalte – und muss deshalb gestoppt werden. Man beschimpfte mich also als Scheidenbub und Fotzenbengelchen, teilte auf Twitter die Adresse meines Arbeitsplatz und riet mir, in den folgenden Tagen lieber einen Sport-BH anzuziehen. Viele, die sich so etwas anhören müssen, verschwinden vermutlich irgendwann aus dem Netz. Ich bin bisher nicht verschwunden und spreche stattdessen immer wieder über meine Erfahrungen. Meine Trolle ärgern sich mittlerweile also nicht mehr nur über meine aggressive Selbstdarstellung als trans Mann, sondern auch noch über meine Selbstdarstellung als Opfer ihres Hasses.  Ich habe das Gefühl, dass es schon lange nicht mehr darum geht, dass ich ein trans Mann bin – es geht um mich.

Trolle wollen Aufmerksamkeit und Macht über das Leben ihrer Opfer. Wenn ich das, was sie tun zur Kenntnis nehme, wenn ich darauf reagiere oder darüber twittere, sitzen sie wahrscheinlich irgendwo vor ihren Rechnern und holen sich darauf einen runter. Viele propagieren deshalb immer noch den etwas altbackenen Ratschlag: „Don’t feed the troll.“ Meiner Erfahrung nach ist das ein völlig unsinniger und das Problem verkennender Ratschlag, weil ignorieren das Problem nicht löst.

Was ich in den letzten 8 Monaten gelernt habe

Ich lernte viel schneller zu blocken und stumm zu schalten. Es macht mir eine diebische Freude, Trolle stummzuschalten und mir vorzustellen, wie sie immer weiter ihr Gift unter meinen Tweets verspritzen und ich einfach nichts mehr davon lese. Was verstörend an all dem ist, ist die Energie und die Zeit, die Leute in mich stecken. Eine Beleidigung oder einen Hasskommentar auf Twitter zu schreiben, dauert vielleicht 20 Sekunden – die meisten davon nehme ich mir gar nicht mehr zu Herzen. Aber meinen Arbeitsplatz aufsuchen? Pakete schicken? Fotocollagen erstellen?  Leute stecken ein obsessives Maß an Aufwand und Energie in mich. Manchmal stört es mich deshalb auch, wenn Dinge online vorschnell als Hatespeech bezeichnet werden. Es gibt einen Unterschied zwischen Trollen, die schreiben, dass sie nicht an den Gender Pay Gap glauben – und Trollen, die versuchen in das reale Leben ihrer Opfer einzugreifen, um sie aus dem Netz zu mobben. Es gibt für das, was mir und so vielen anderen Menschen im Netz passiert, immer noch keinen richtigen Begriff: sprechen wir von Trollen? Von Hatern? Handelt es sich um Kritik? Um Beleidigungen? Um Hasskommentare? Um Mobbing?

Vor etwas mehr als vier Wochen habe ich einen Vortrag von dem YouTuber und Feministen Tarik Tesfu gehört, der von dem Hass erzählte, den er online erlebt und wie er damit umgeht. Er erzählte, dass er eine Supervision machte, um einen besseren Umgang mit den Kommentaren im Netz zu finden. Und er erzählte, dass er keine Sekunde Lebenszeit mehr in seine Hater stecken möchte, stattdessen möchte er Videos machen, Vorträge halten und andere Menschen empowern. Als ich das hörte, dachte ich: genau das möchte ich auch.  Ich möchte weiter sichtbar sein, ich möchte weiter Teile meiner Transition mit euch teilen können, ich möchte weiter Texte schreiben – und, was ich mir dabei immer wünsche: dass ich anderen Menschen damit ein klein wenig helfen kann.

Ich habe mich deshalb dafür entschieden, mit dem gespendeten Geld eine Supervision zu finanzieren, die ich bei einer Psychologin mache, die auf das Thema Hass im Netz spezialisiert ist. Ich informierte alle Spender und Spenderinnen über diesen Schritt und war sehr gerührt von all den lieben, bestärkenden Reaktionen. Ich glaube, dass dieser Schritt der beste Schritt im Kampf gegen meine eigene Hilflosigkeit ist. Denn solange die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Twitter nicht bereit sind, etwas gegen den Hass zu tun, der sich schwarmartig auf  ihrer Plattform verbreitet – in dem zum Beispiel Hatespeech strenger geahndet wird oder restriktiver gegen die Anonymität vorgegangen wird – kann ich nur für mich einen Weg finden, wie ich besser damit umgehe und wie ich mich selbst stärken kann, um weiter präsent und online zu sein. In meinem Fall sind alle bisherigen Ermittlungen nicht an der Bereitschaft der Polizei gescheitert, sondern daran, dass Twitter die Nutzerdaten der Trolle nicht herausgeben wollte.  Zu der Bereitschaft der Plattform gegen Hass vorzugehen, hat sich auch Shahak Shapira geäußert, der in einem Selbstversuch hunderte Kommentare meldete und nur in ganz wenigen Fällen überhaupt eine Antwort von Twitter erhielt. Es sind vor allem marginalisierte Menschen, die dem Hass auf Twitter schutzlos ausgeliefert sind. Während Nutzerinnen gesperrt werden, die in einem Tweet rund um die Diskussion über Mesut Özil schreiben, man müsste den DFB anzünden – können andere Nutzer und Nutzerinnen unbehelligt ihr Unwesen treiben und trans Menschen verspotten, beleidigen und beschimpfen. Ohne, dass irgendetwas dagegen unternommen wird. Die Onlineplattform them schlägt deshalb vor, dass Twitter zum Beispiel das Misgendern von trans Menschen als Hass einstufen sollte – das wäre sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin, trans Menschen online besser zu schützen. Es gibt übrigens auch zahlreiche prominente Opfer, die von den sozialen Kanälen weggemobbt und zum Schweigen gebracht wurden: zuletzt ist das Millie Bobby Brown, der Darstellerin in Stranger Things, passiert. Den Trollen ebenfalls zum Opfer fiel Kelly Marie Tran, die die Konsequenz zog, ihre ganzen Fotos von Instagram zu löschen.

Der Weg der Sichtbarkeit, für den ich mich mit meinem öffentlichen Outing entschied, hat einen Preis und ich kann mir nur immer mal wieder die Frage stellen, ob mir das, was ich tue, diesen Preis wert ist. Im Moment kann ich diese Frage ganz klar mit Ja beantworten. Und ich hoffe, dass ich Betroffenen mit diesem Beitrag ein klein wenig helfen konnte: es gibt Unterstützungsangebote, die einen stärker machen können – damit wir möglichst alle noch viel Zeit zusammen im Netz verbringen können.

Ich möchte kein Sonderzeichen sein

Zuletzt bin ich immer häufiger darüber gestolpert, dass hinter Begriffe wie Mann und Frau oder auch Vater und Mutter plötzlich ein Sternchen gesetzt wird. Meistens wird dieses Sternchen von sehr wohlmeinenden Menschen gesetzt, die eine inklusive Sprache nutzen wollen und auch wirklich alle mitmeinen möchten. Doch wer sind eigentlich Frauen*? Wer sind Männer*? Was unterscheidet einen Vater von einem Vater*?

Wer ist in diesem Sternchen überhaupt mitgemeint?

Die häufigsten Antworten darauf, die ich bisher erhielt, sind: „Ich möchte alle Frauen ansprechen, die sich als Frauen fühlen.“ Oder auch: „Mit dem Sternchen werden auch alle angesprochen, die keine biologische Frauen sind.“ Oder: „Das Sternchen meint alle mit, die sich als zugehörig empfinden.“ Aber werden Frauen – die sich als Frauen fühlen, die sich als Frauen empfinden, die Frauen SIND – nicht sowieso schon durch den Begriff Frau angesprochen?

Als trans Mann kann ich nur sagen: ich möchte kein Sonderzeichen sein. Ich bin kein Mann* und wäre ich ein Vater, würde ich nicht als Vater* bezeichnet werden wollen. Das Sternchen ist gut gemeint, aber es vergrößert nur den Graben – zwischen echten Männern und trans Männern, zwischen echten Frauen und trans Frauen – der sowieso schon von so vielen gezogen wird. Mein Vorschlag – statt nun einfach Sternchen an irgendwelche Worte zu klatschen –  wäre es, sich die Zeit zu nehmen, um explizit zu schreiben, wer hier eigentlich gemeint ist und mitgemeint werden soll.

Beim nächsten generischen Sternchen lohnt es sich darum auf jeden Fall, kurz innezuhalten und zu überlegen, wie die Formulierung präziser werden könnten. Auf wen trifft eine Aussage zu? Wen lade ich auf dieser Veranstaltung wirklich ein? An wen richtet sich jener Text? Meine ich Frauen? Oder nur cis Frauen? Oder Frauen und nicht-binäre Personen? Oder Frauen und Femmes? Oder Frauen und trans Männer? Oder nur Menschen, die eine Vulva haben? Oder nur Menschen, die menstruieren? Oder Menschen, die schwanger werden können? Oder Menschen, die sexualisierte Belästigung erfahren? Oder Menschen mit X-Erfahrung? Oder pauschal alle außer cis Männer? Alle Frauen, Lesben, inter und trans Personen? Dann sag es doch entsprechend.

Das Zitat stammt aus einem sehr schönen und empfehlenswerten Text zu der Thematik von Hengameh Yaghoobifarah, erschienen im Missy Magazin.

Lest den bitte mal und lasst in Zukunft doch das Sternchen weg.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Die Philosophin, Autorin und Journalistin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrer Streitschrift „Die potente Frau“„Männer können nicht wissen, wie es ist, eine Vulva zu haben. […] Frauen wissen umgekehrt nicht, wie es sich anfühlt, einen Penis zu besitzen.“ Als ich darauf hinwies, wie problematisch ich diesen Satz finde, fielen die Reaktionen ganz unterschiedlich aus – dabei fiel mir auf, dass es neben Hass und Ablehnung bei vielen Menschen auch viel Unverständnis und Unwissen gibt. Deshalb möchte ich die Chance nutzen, noch einmal zu erklären, worin die Problematik liegt bei der Formulierung.

Es gibt diesen immer häufiger auftauchenden Begriff Empörungskultur – und ich muss gestehen, ich habe häufig Angst genauso abgestempelt zu werden: „Ach ja, da empört sich schon wieder jemand. Wie selbstgerecht und kleinlich!“ Mir ist es wichtig zu betonen, dass ich nicht mit dem Finger auf Svenja Flaßpöhler zeigen will, um sie zu beschämen. Ich möchte auch nicht mit dem Finger auf all diejenigen zeigen, die das Problem mit diesem Satz nicht verstehen. Stattdessen möchte ich versuchen, meine Position deutlich zu erklären – und dabei vielleicht all diejenigen abzuholen, die für diese Form der Diskriminierung bisher noch nicht sensibilisiert waren.

In einem Artikel las ich kürzlich von der Spinat-zwischen-den-Zähnen-Metapher“ – wenn euch jemand darauf hinweist, dass eine eurer Formulierungen rassistisch, misogyn oder transfeindlich ist, könnt ihr diesen Hinweis so annehmen, als würde euch gesagt werden, ihr hättet Spinat zwischen den Zähnen. Statt wütend zu werden, statt zu diskutieren oder euch zu rechtfertigen, könnt ihr euch einfach für den Hinweis bedanken, euch einmal im Spiegel anschauen und den Spinat entfernen. Es geht nicht um Verbote und Vorschriften, es geht nicht darum, etwas plötzlich nicht mehr zu dürfen. Sprache ist täglichen Veränderungen unterworfen und ich glaube, dass wir alle versuchen sollten, offen für diese Veränderungen zu sein – und dafür, voneinander zu lernen.

Svenja Flaßpöhler schreibt : „Männer können nicht wissen, wie es ist, eine Vulva zu haben. […] Frauen wissen umgekehrt nicht, wie es sich anfühlt, einen Penis zu besitzen.“ Das Problematische an diesem Satz ist, dass er die Identität von trans Menschen ausschließt und Geschlecht zu etwas biologistischen und binären macht. Es gibt Männer, die wissen, wie es ist, eine Vulva zu haben. Und genauso gibt es Frauen, die ganz genau wissen, wie es sich anfühlt einen Penis zu haben. Eine alternative Formulierung wäre zum Beispiel: „Menschen ohne Vulva können nicht wissen, wie es ist eine Vulva zu haben.“ Als ich auf Twitter auf die Problematik dieser Textstelle hinwies, betonte der Ullstein Verlag der das Buch herausgegeben hat – dass der Text als Gesprächs- und Diskussionsangebot verstanden werden soll. Seitdem frage ich mich, worüber hier diskutiert werden soll? Darüber, dass trans Menschen ihre Identität abgesprochen wird? Darüber, dass von Svenja Flaßpöhler Menschen auf ihr biologisches Geschlecht reduziert werden?

Ohne es wirklich zu merken, bestätigt der Verlag mit seiner Art darüber auf den sozialen Kanälen zu kommunizieren, die Menschen, die glauben, trans Personen seien albern, verwirrt oder geisteskrank – und positioniert sich nicht dazu. Es geht hier nicht um verletzte Gefühle. Wenn ein renommierter deutscher Verlag heutzutage kein Bewusstsein dafür hat, was an den Formulierungen der eigenen Autorin problematisch ist, dann macht mich das traurig. Und ich finde es mehr als bedenklich.

Auf die Frage, ob ein trans Mann ein Mann ist, gibt es drei mögliche Antworten:

  1. ja – ein trans Mann ist ein Mann.
  2. nein, wer eine Vagina hat, der ist eine Frau.
  3. ich respektiere den Wunsch eines trans Manns, mit männlichen Pronomen angesprochen zu werden – aber das macht ja noch lange nicht auf magische Art und Weise aus einer Frau einen Mann.

Obwohl so viele von uns Science-Fiction-Filme schauen, Fantasy-Romane lesen oder sich von Serien wie Stranger Things begeistern lassen können, scheint die eigene Vorstellungskraft Grenzen zu haben, wenn es darum geht, dass jemand ein Leben mit seinem gewünschten oder seinem gefühlten Geschlecht lebt. Ich treffe immer wieder auf Menschen, die sagen: aber biologisch bist du doch noch eine Frau! Die Textstelle aus der Streifschrift von Svenja Flaßpöhler ist so problematisch, weil dort genau mit diesen Kategorien argumentiert wird. So lange du eine Vulva hast, bist du kein Mann – so lange du einen Penis hast, kannst du keine Frau sein,

In einem Kommentar schrieb jemand: „Ich darf also nicht mehr ‚Männer‘ schreiben, wenn ich das Geschlecht meine, das man gemeinhin als Männer bezeichnet.“ Ich glaube, dass das eine ganz natürliche Reaktion ist – Veränderungen und Umstellungen sind für viele Menschen schwer zuzulassen. Ganz viele haben es sich bequem gemacht, sich gemütlich hingesetzt und die Schuhe ausgezogen und plötzlich werden sie darum gebeten, doch noch einmal aufzustehen und den Platz zu wechseln. Viele reagieren dann so oder so ähnlich: Muss das sein? Was darf ich überhaupt noch? Darf ich jetzt nicht mehr das Wort Männer schreiben? Was kommt als nächstes? Wo ist denn jetzt schon wieder das Problem? Wenn wir sensibler für Sprache und Formulierungen werden, wird niemandem etwas weggenommen.

Ich bin ein Mann, ich lebe als Mann. Ich möchte dafür kämpfen, dass alle ihr Leben mit ihrem gewünschten Geschlecht leben können, ohne auf Körperteile reduziert zu werden, die sie nicht besitzen oder die sie noch besitzen. Und in ihrer Identität anerkannt werden.

Wie sich mein Körper durch das Testosteron verändert

In den Monaten, bevor ich meine erste Spritze Testosteron bekam, las ich viel darüber, wie sich mein Körper durch die Hormone verändern wird. Ich erfuhr, dass meine Stimme tiefer werden wird. Ich erfuhr, dass meine Körperbehaarung zunehmen wird. Doch bei all meinen Recherchen las ich nie darüber, dass sich auch mein Intimbereich verändern wird – nirgendwo las ich über den Wachstum der Klitoris.

Lange Zeit wusste ich nicht, dass die Klitoris durch die Hormone wachsen wird – bis ich an mir selbst Veränderungen feststellte und erst einmal sprachlos war. Welches Ausmaß das Wachstum hat, ist bei jedem trans Mann unterschiedlich. In der Regel wächst die Klitoris zwischen drei und sieben Zentimentern. Als ich auf Twitter von meinem neuen Minipenis erzählte, erfuhr ich, dass es dafür sogar einen Begriff gibt – Pentoris. Im englischen Sprachraum sprechen viele trans Männer auch vom t(estosterone)  dick, also dem Testosteron Penis.

Als ich zum ersten Mal Begriffe für das kannte, was mit mir vorging, wollte ich unbedingt herausfinden, wie unterschiedlich so ein Pentoris aussehen kann. Wie sieht ein Pentoris von jemandem aus, der schon länger Testosteron nimmt? Was kann ich erwarten? Worauf kann ich mich freuen?  Bei dieser Suche musste ich sehr schnell feststellen, dass es keine Bilder gibt. Ob ich in die Googlebildersuche Pentoris oder t-dick eingebe – das Ergebnis bleibt dasselbe: ich finde keine Bilder. Nichts. Überhaupt nichts. Kein einziges Bild. Während ich überall Brüste und Penisse sehe, finde ich kein einziges Bild meines zukünftigen Geschlechtteils. Irgendwann werde ich doch fündig: auf Tumblr gibt es porn blogs, in denen trans Männer den Wachstum ihrer Klitoris dokumentieren. Mich macht es traurig, dass das die einzige Möglichkeit sein soll, mir Bilder von meinem zukünftigen Körper anzuschauen.

Natürlich wird es auch jetzt wieder Menschen geben, die sagen: „Wie du unten rum aussiehst, interessiert höchstens deinen Sexualpartner, aber nicht die ganze Welt.“ Aber der Wunsch nach Repräsentation bedeutet für mich auch die Repräsentation des eigenen Körpers. Warum finde ich keine Bilder, auf denen ich sehen kann, wie mein zukünftiger Intimbereich aussehen wird? Mein Wunsch ist es, über alle Veränderungen meines Körpers zu sprechen und so viel wie möglich davon zu zeigen, damit es andere trans Männer in ein paar Jahren vielleicht leichter haben, wenn sie nach Begriffen wie Pentoris oder t-dick googeln.


Hier gibt es zwei Fotos eines trans Mannes, der seinen Intimbereich zeigt.  | Auf YouTube spricht Torben sehr offen über die Veränderungen seines Körpers. | Und auf diesem Tumblraccount werden  Fotos von trans Männern gesammelt.

Wenn Journalist*innen über trans Themen schreiben

Gestern saß die Whistleblowerin Chelsea Manning bei der Internetkonferenz republica auf der Bühne und sprach über ihre Zeit im Gefängnis, die Gefahr und die Chancen neuer Technologien und ihre Arbeit als Aktivistin. Angekündigt war die Veranstaltung als Kamingespräch und das Schöne an der fast einstündigen Unterhaltung war, dass die Tatsache, dass Chelsea Manning eine trans Frau ist, keine Rolle spielte. Ganz am Anfang wurde sie gefragt, wie sie die ganze Transition verarbeitet hat – und im Nachsatz wurde klar gestellt, dass in diesem Fall die Wandlung von einer Inhaftierten in Isolationshaft hin zu einer öffentlichen Berühmtheit, die demnächst für den Senat kandidieren möchte, gemeint ist. Obwohl Chelsea Manning einige Male erwähnte, dass sie eine trans person  ist, spielte ihr Geschlecht ansonsten keine Rolle – auch die Nachfragen aus dem Publikum drehten sich einzig und allein um ihr heutiges Engagement, nicht um ihre Vergangenheit.

Im Anschluss an ihren Auftritt, erschienen in denen deutschen Medien zahlreiche Artikel über Chelsea Manning und dabei sind mir zwei Dinge aufgefallen:

  1. Deutsche Journalisten*innen gebrauchen immer noch das Wort Geschlechtsumwandlung. Das Wort Geschlechtsumwandlung darf und muss bitte ganz dringend wieder zurück in das vergangene Jahrhundert geschickt werden. Ich werde nicht erst durch eine Geschlechtsumwandlung zum Mann – in dem ich sozusagen operativ mein Geschlecht wandel – oder auch nicht, falls ich weder Hormone nehmen möchte noch eine Operation will. Der Punkt ist: ich bin bereits ein Mann und gleiche – je nach Wunsch – lediglich noch meinen Körper an. Es ist deshalb deutlich passender von Geschlechtsangleichung zu sprechen oder gleich den englischen Begriff Transition zu verwenden.
  2. Außerdem gibt es kaum einen Artikel, in dem der alte Name von Chelsea Manning nicht erwähnt wird. Der alte, abgelegte Name ist der sogenannte Deadname. Ein Deadname ist ein Deadname ist ein Deadname – ob er aus Böswilligkeit, aus Versehen oder als zusätzliche Erklärung verwendet wird, spielt dabei keine Rolle.

Diese beiden Beispiele sind aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und aus der Süddeutschen Zeitung – das positive Gegenbeispiel kommt aus dem SPIEGEL, der es schafft, einen ganzen Artikel über Chelsea Manning zu schreiben, ohne ihren alten Namen zu erwähnen und ihr Geschlecht zu thematisieren. Es ist also tatsächlich möglich!

Chelsea Manning ist der Name der Person, die all diese Dinge getan hat, bevor sie sich öffentlich als trans geoutet hat. Die Person, die diese Dinge getan hat, die Chelsea Manning tat, bevor sie sich outete, ist eine Frau. Es gibt keinen Grund in einem Artikel über ihre Arbeit als politische Aktivistin zu erwähnen, wie ihr früherer Name gewesen ist oder ob sie eine Geschlechtsangleichung hatte. Jedes Mal, wenn es doch wieder erwähnt wird, manifestiert sich die Vorstellung, dass Menschen von einem Tag auf den anderen mal eben ihr Geschlecht wandeln. Da mein alter, abgelegter Name auch öffentlich bekannt war – wenn gleich natürlich nicht so bekannt, wie der von Chelsea Manning – reagiere ich besonders empfindlich auf diese Art der Berichterstattung. Es ist unnötig, irrelevant und verletzend. Es ist auch keine komplizierte Zwickmühle für Journalisten*innen – der SPIEGEL macht ja vor, dass es problemlos gelingt, auch so einen verständlichen Artikel über Chelsea Manning zu veröffentlichen. Es gibt Menschen, die jedes Mal – wenn ich etwas zu diesem Thema schreibe – wieder argumentieren, dass die Nennung des alten Namens möglicherweise nötig sei oder zum Verständnis beitrage und ich kann dazu nur ganz klar nein sagen.

Chelsea Manning hat auf der Bühne viele kluge Sachen gesagt, eine der wichtigsten Sätze für mich, war: „Höre auf Erfahrungen, die du nicht hast.“ Ich bin ein Betroffener. Ich bin ein trans Mann. Ich erkläre immer wieder, was an der Verwendung des Deadnames – in welchem Kontext auch immer – verletzend sein kann. Und es fühlt sich unglaublich übergriffig an, wenn es Menschen gibt, die in keiner Form betroffen sind und dann trotzdem sagen: ich respektiere deine Meinung, aber ich sehe das anders. Es geht hier nicht um eine Meinung  – es geht darum, dass ich darum bitte, nicht verletzt zu werden.

Um es ganz hart auszudrücken: die Meinungen, Ansichten und Gedanken von cis Personen zum Thema Deadname sind völlig irrelevant. Wichtig ist: Betroffenen zuhören, Gefühle und Verletzungen respektieren und auf die Wünsche und Bitten derjenigen einzugehen, ÜBER die hier geschrieben wird.


Das Interview mit Chelsea Manning kann hier angeschaut werden.

Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung war eine unbearbeitete Agenturmeldung, es gibt noch einen weiteren ausführlicheren Text von Simon Hurtz.

Was ist eigentlich ein Deadname?

Als ich mich auf meinem Blog als trans outete, schrieb ich: Hallo, ich bin’s – Linus. Damit habe ich meinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass man mich in Zukunft Linus nennt – und nicht mehr bei meinem alten Namen. Dieser alte abgelegte Name wird von trans Menschen häufig auch als Deadname bezeichnet. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Begriff?

Mit dem Bergriff Deadname wird der abgelegte Name einer trans Person bezeichnet – Deadnaming bedeutet also das Ansprechen einer trans Person mit ihrem alten Namen. Es kann manchmal aus Versehen zum Deadnaming kommen, zum Beispiel wenn zu Beginn der Transition Freunden, Familienmitgliedern oder Kollegen unabsichtlich der alte Name herausrutscht. Der Deadname kann aber auch als Instrument von Macht genutzt werden: auf Twitter werde ich ganz häufig mit meinem alten Namen oder dem falschen Pronomen angesprochen – das sind dann Hasskommentare von Menschen, denen nichts anderes einfällt, als mir meine Identität abzusprechen, um mir weh zu tun. Und dann gibt es Menschen, die mit Absicht den alten Namen benutzen – ohne sich jedoch häufig darüber im Klaren zu sein, wie verletzend das für mich ist. Während der Leipziger Buchmesse sagte eine andere Bloggerin zu mir: „Ich hoffe, ich nenne dich nicht [alter Name].“ Mir ist es auch mal auf einem Podium passiert, dass der Moderator sagte: „Bekannt geworden bist du als [alter Name]“. Und in der Danksagung eines Buches steht: „Vielen Dank an Linus Giese, manche werden Linus noch unter [alter Name] kennen.“

Wenn ich in solchen Fällen darauf aufmerksam mache, dass es für mich nicht in Ordnung ist, wenn mein Deadname von anderen verwendet wird, kommt es in den meisten Fällen zu den immer gleichen Reaktionen – cis Personen argumentieren, 1.) dass ich mein altes Leben doch nicht wegwerfen kann, 2.) dass die Vergangenheit immer noch zu einem gehört, 3.) dass der alte Name doch nichts sei, das totgeschwiegen werden sollte und 4.) was steht denn eigentlich in deinem Personalausweis?

Es gibt trans Menschen, die ein entspanntes Verhältnis zu ihrem alten Namen haben. Ich habe das nicht. Kürzlich sortierte ich Kleidung aus, die ich nicht mehr tragen werde – es sind Kleidungsstücke, die jemandem anderen gehören. Jemandem, der ich niemals wirklich war, aber dreißig Jahre lang vorgab zu sein. Ich hätte die Kleidung auch einfach in meinem Schrank hängen lassen können, aber dort würde sie nur Platz wegnehmen für Dinge, die mir besser passen und in denen ich mich wohler fühle. Mit der Entscheidung, Linus zu sein, habe ich auch die Entscheidung getroffen, bestimmte Dinge zurückzulassen. Ich finde, dass es keinen passenderen Begriff als Deadname gibt, um einen Namen zu bezeichnen, der der Vergangenheit angehört. Jedes Mal, wenn mein alter Name genannt wird, schmerzt es mich – auch körperlich, ich bekomme Herzrasen und Schweißausbrüche. Ich bin Linus, mich gibt es seit 32 Jahren – ich habe mich nur erst jetzt herausgetraut. Ich bin nicht in dem Moment Linus geworden, als ich mich outete. Ich bin auch nicht in dem Moment Linus geworden, in dem ich meine Transition begann. Ich begann mit meiner Transition, weil ich bereits dieser Mensch war. Ich bin immer Linus gewesen, ich trug diesen Namen nicht mein ganzes Leben lang, aber Linus war immer der Mensch, der ich im Inneren war. Auch, wenn ich das gut zu verstecken wusste.

Also: in neunundneunzig Prozent aller Fälle, solltet ihr nicht den Deadname einer trans Person verwenden, außer sie hat euch das ausdrücklich erlaubt. In neunundneunzig Prozent aller Fälle ist es auch nicht in Ordnung, eine trans Person ohne ihren Willen öffentlich zu outen. Ich lebe offen als trans Mann und trotzdem möchte ich nicht, dass mein alter Name auf einem Podium genannt wird oder für unglaublich viele Menschen in einem Buch nachzulesen ist. Das fühlt sich übergriffig an und nimmt mir alle Kontrolle über mein Leben, meine Identität und meine eigene Geschichte.  In neunundneunzig Prozent aller Fälle ist es zudem schmerzhaft, wenn ihr darüber diskutieren wollt, ob man denn wirklich die eigene Vergangenheit wegwerfen sollte – meine Vergangenheit ist immer noch da, meine Erlebnisse, meine Erfahrungen und das Leben, das ich lebte, sind nicht ausgelöscht. Nur der Name hat sich geändert.

Viele fragen mich immer wieder: wie sollen wir denn über dein Leben vor deinem Coming-Out sprechen? Mich verwirrt diese Frage, weil ich mir nicht vorstellen kann, wann und in welchem Kontext wildfremde Menschen aus dem Internet über meine Vergangenheit sprechen sollten – aber wenn ihr das tun wollt, dann sprecht über mich als Linus und nutzt das richtige Pronomen. Wenn ihr über etwas sprechen wollt, was ich 2016 tat, ist mein Name immer noch Linus und das korrekte Pronomen er. Wenn ihr über etwas sprechen wollt, was ich 1999 getan habe, ist mein Name immer noch Linus und das korrekte Pronomen er.  Falls es für euch total wichtig ist zu betonen, dass ich 2016 noch einen anderen Namen trug als jetzt, solltet ihr euch fragen, warum es euch wichtig ist. Mir fällt dafür nämlich kein Grund ein.

Nein, ich wurde nicht als Frau geboren.

Durch meinen offenen Umgang mit meiner Identität, bin ich auf Twitter und anderen sozialen Kanälen mit vielen Fragen konfrontiert: warum heißt du eigentlich Linus? Warum möchtest du nicht mutig genannt werden? Oder auch: warum ignorierst du nicht einfach die Hasskommentare? Die Frage, die ich nach acht Monaten nicht mehr hören möchte, ist die Frage danach, warum es verletzend ist, zu sagen, dass ich als Frau geboren sei.

Bei mir haben drei Ereignisse dazu geführt, dass ich unbedingt über dieses Thema schreiben muss. Zum einen habe ich Interviewfragen zugeschickt bekommen und die erste wurde folgendermaßen eingeleitet: „Du bist als Frau geboren und lebst nun als Mann.“ Zum anderen schrieb eine Instagramnutzerin kürzlich über trans Männer und formuliert dies so: „eine Frau, die sich als Mann fühlt und als Mann lebt“. Und zuletzt sagte mir kürzlich jemand auf Twitter, dass ich ja gerade noch eine biologische Frau sei und dass ihre trans Freundin sich so lange als Mann bezeichnet hat, bis die Angleichung abgeschlossen war. Ich glaube tatsächlich, dass jede trans Person unterschiedlich empfindlich auf unterschiedliche Formulierungen reagiert. Umso wichtiger ist es – glaube ich – sensibel zu formulieren und gegebenenfalls lieber einmal zu oft nachzufragen.  Auf GLAAD gibt es zum Beispiel einen englischsprachigen Medienguide, in dem Formulierungen gesammelt werden, die lieber vermieden werden sollten – und Formulierungen, die stattdessen verwendet werden könnten. Vermieden werden sollten: „biologisch männlich“ und „biologisch weiblich“, „genetisch männlich“ und „genetisch weiblich“, „als Mann geboren“ und „als Frau geboren“. Stattdessen könnte man zum Beispiel vom bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht sprechen.

Ich wurde nicht als Frau geboren und habe mich auch nie als Frau gefühlt, und jedes Mal wenn jemand wieder irgendwo diesen Satz sagt, fühlt es sich – ohne zu übertreiben – an, als würde mein Herz herausgerissen werden. Mir ist natürlich klar, dass keines der oben genannten Beispiele böse gemeint ist. Die Vorstellung, dass ich als Frau geboren wurde und nun als Mann lebe, ist eine Vorstellung, die von unzähligen Artikeln in den Medien unterstützt und gefestigt wird. Für viele ist es das einfachste Bild, um sich etwas vorzustellen, was scheinbar häufig unvorstellbar ist.

Ein trans Mann ist ein Mann. Ich bin kein Mann, der mal eine Frau gewesen ist. Ich bin kein Mann, der als Frau geboren wurde. Ich bin kein Mann, der gerade noch eine biologische Frau ist. Ich bin ein Mann. Es ist verletzend und respektlos, darüber bestimmen zu wollen, wie ich auf meine eigene Vergangenheit blicke. Es ist verletzend und respektlos, mir zu sagen, als was ich geboren wurde. Es ist verletzend und respektlos, mir meine eigene Geschichte und Identität wegzunehmen und einen Stempel darauf zu drücken, der lautet: „als Frau geboren“. Es ist verletzend und respektlos, mir zu sagen, welches biologische Geschlecht ich habe. Es ist verletzend und respektlos, über einen trans Mann zu sagen, er sei eine Frau, die sich als Mann fühlt. Natürlich: jeder trans Mann spricht anders über die eigene Transition, für jeden sind unterschiedliche Dinge verletzend. Wichtig ist es aber, hinzuhören und die Wünsche der Betroffenen zu respektieren. Wenn du einen trans Mann interviewen möchtest oder über trans Männer schreiben willst, wäre es toll, wenn du vorher googelst, um herauszufinden, welche Formulierungen besser vermieden werden sollten – und was du bedenkenlos fragen und schreiben kannst.

Wir werden alle zunächst einmal als Babies geboren. Als Babies, denen anschließend ein Geschlecht zugewiesen wird. Ich habe mich relativ spät geoutet und trotzdem bedeutet das nicht, dass ich in den Jahren zuvor als Frau lebte. Jemandem, der sich relativ spät als homosexuell outet, würde man doch auch nicht sagen: „Damals, als du noch heterosexuell warst.“ Besonders kritisch empfinde ich es, wenn mit dem Begriff biologisch hantiert wird. Jemand sagt mir, ich sei gerade noch biologisch eine Frau. Doch was bedeutet es eigentlich, biologisch eine Frau zu sein? Ab wann wäre ich biologisch keine Frau mehr? Ab der Einnahme von Testosteron? Ab dem Moment, in dem mir die Brüste entfernt werden würden? Ab dem Moment, in dem aus einem Stück meiner eigenen Haut ein Penis geformt werden würde? Und was wäre, wenn ich all das nicht möchte? Wenn ich sagen würde, dass es mir reicht, Hormone zu nehmen, ich aber keine Operationen wünsche? Würde mich das als Mann disqualifizieren und weiter eine biologische Frau sein lassen?

Ich unterstelle niemandem böse Absicht, der solche oder ähnliche Formulierungen gebraucht hat. Vielen ist es nicht klar, wie verletzend und beschädigend bestimmte Sätze und Worte sein können. Was ich mir wünschen würde – von Journalisten und Journalistinnen, aber auch von allen anderen Menschen: die Bereitschaft zuzuhören, umzudenken, und nicht immer wieder dieselben Bilder, Klischees und Stereotype zu reproduzieren. Genauso wichtig, wie es ist, mich in der Gegenwart richtig zu gendern, wäre es, mich auch in der Vergangenheit nicht zu misgendern – und ich allein darf darüber entscheiden, als was ich geboren wurde und wie ich leben möchte.


Leitfaden für Journalisten und Journalistinnen.

Bitte nennt mich nicht mehr mutig!

Vor fast sechs Monaten outete ich mich auf meinem Buchblog als trans Mann und einer der häufigsten Sätze, den Menschen seitdem sagen, ist: „Du bist so mutig!“ Heute erkläre ich euch, warum dieses lieb gemeinte Kompliment etwas ist, das ich lieber nicht mehr hören möchte.

So richtig fiel es mir zum ersten Mal auf der Leipziger Buchmesse auf: ich ging durch die Messehallen und es kamen immer wieder wildfremde Menschen auf mich zu, um mir einfach mal zu sagen, wie mutig sie mich finden. Manche schoben noch hinterher, dass das bestimmt ein sehr schwerer Weg sei. Einen Weg, den sie sich selbst niemals vorstellen könnten. Bei all diesen Begegnungen habe ich mich immer höflich bedankt, weil ich nie wusste, wie ich anders reagieren sollte.

Seitdem ich öffentlich sage, dass ich trans bin, habe ich den Satz „Du bist so mutig“ in endlos vielen Variationen gehört. In den meisten Fällen kommt dieses lieb gemeinte Kompliment von Cis-Personen, denen es wichtig ist mir zu sagen, wie verdammt beeindruckt sie von meinem Mut sind und davon, dass ich mich traue, ich selbst zu sein und zu mir zu stehen, Es klingt wie ein Kompliment mutig genannt zu werden und ich glaube, dass alle, die mich mutig nennen, es auch als Kompliment meinen – sie möchten mir auf diesem Weg ihre Bewunderung und Unterstützung ausdrücken. Doch jedes Mal, wenn dieser Satz fällt, verfestigt sich die Vorstellung, dass sich das Leben und die Erfahrung eines trans Menschen fundamental von allem unterscheidet, was Cis-Personen erleben – und somit nicht normal ist. Würde man einem Cis-Mann sagen, dass er mutig ist, weil er die Kleidung trägt, in der er sich wohl fühlt? Würde man einem Cis-Mann sagen, dass er mutig ist, weil er Fotos von sich online stellt und von seinem Leben erzählt?

Als trans Mann zu leben, ist keine mutige Entscheidung, sondern eine notwendige. Ist es mutig, aus einem brennenden Gebäude herauszurennen? Ich finde: nein. Es bedeutet einfach nur, dass man nicht sterben möchte. Überlebenswille ist aber kein Mut. Mutig wäre der Feuerwehrmann, der in ein brennendes Gebäude geht, um andere Menschen zu retten. Das ich mich dafür entschied, diesen Weg zu gehen, war meine letzte Option. Ich gehe diesen Weg nicht, weil ich mutig und stark bin. Ich gehe diesen Weg nicht, weil ich eine Inspiration sein möchte. Ich gehe diesen Weg, weil es keinen anderen gibt für mich. Ich selbst zu sein und zu mir zu stehen, macht mich nicht zu einem mutigen Menschen, weil es nichts ist, für das ich mich wirklich entschieden habe.

Was mich selbst Mut gekostet hat, war mein Coming-Out. Es hat mich Mut gekostet, im Starbucks zum ersten Mal Linus zu sagen. Es hat mich Mut gekostet, mein erstes Herrenhemd zu kaufen. Es hat mich Mut gekostet, meinen Blogbeitrag zu veröffentlichen. Aber es kostet mich keinen Mut, dieses Leben jetzt zu leben. Ich freue mich, wenn ihr mir Komplimente für meine Kleidung macht. Ich freue mich über Komplimente für meine Frisur. Ich freue mich, wenn euch das alles nicht interessiert und ihr mit mir einfach nur über Bücher sprechen wollt. Aber ich möchte wirklich nicht mehr hören, dass ich mutig bin. Ich möchte weder mutig noch inspirierend sein, ich möchte einfach nur mein Leben leben.

Auch mein Umgang mit Hasskommentaren ist nicht mutig, er ist alternativlos. Es kommt für mich nicht in Frage, nicht mehr über mich zu sprechen. Es kommt für mich nicht in Frage, mich irgendwo abzumelden oder meine Accounts privat zu stellen.  Und es kommt für mich auch nicht in Frage, den Hass zu ignorieren. Es hilft mir nicht, wenn ihr das mutig findet. Kürzlich fragte mich jemand, was ich denn stattdessen gerne hören würde und ich habe lange über diese Frage nachgedacht. Wenn ich von Hasskommentaren berichte, gibt es viele Sätze, die ich als hilfreich empfinde:

  1. Es tut mir leid, dass dir das passiert!
  2. Diese Kommentare sind falsch und nicht zu akzeptieren!
  3. Ich kämpfe für dich und deine Sicherheit (und werde diese Kommentare melden)!
  4. Was für eine Unterstützung wünscht du dir gerade? Brauchst du Hilfe?
  5. Es ist nicht deine Schuld! Es ist nicht deine Schuld! Es ist nicht deine Schuld!
  6. Es liegt nicht an dir und dem, was du veröffentlichst, dass du diesen Hass erlebst!
  7. Das Problem bist nicht du, sondern der Hass!
  8. Ich bin für dich da und höre dir zu!
  9. Du musst dich und dein Verhalten nicht ändern, damit dir so etwas nicht nochmal passiert!

Also: ich bin weder mutig, noch stark, noch bewundernswert, sondern ich lebe einfach mein Leben. Ich hatte keine andere Wahl.


Es gibt übrigens auch einen tollen Podcast auf YouTube, der You are so brave heißt – reinhören lohnt sich!