Ein Blick zurück

Ich machte kürzlich bei der #2009vs2019-Challenge mit – als ich durch alte Fotoalben schaute, fiel mir zum ersten Mal selbst so richtig auf, wie sehr ich mich in den vergangenen Jahren veränderte. Auf einer englischen Seite wird mein Foto unter der Überschrift „22 People From #10YearChallenge Who Have Changed Beyond Recognition“ auf Platz 4 geführt. Dazu schreiben die Autoren und Autorinnen: But if you look at the photos marked with #2009vs2019 you’ll realize that some people have not only grown older, lost weight, or changed their hair color, it seems that they have been literally reborn. So, looking at their photos you just want to exclaim, “I can’t believe that’s the same person!”

Und tatsächlich fühlt sich mein Leben in den vergangenen Monaten wie eine Wiedergeburt an – oder vielleicht sogar: wie eine Neugeburt. Seit bald einem Jahr nehme ich Testosteron und seitdem hat sich vieles bei mir verändert und viele dieser Veränderungen machen mein Leben mittlerweile deutlich erträglicher und glücklicher.

Zunächst bekam ich das Testosteron als Depotspritze alle 6 Wochen, mittlerweile ist der Abstand zwischen den Spritzen größer geworden – nun gehe ich alle elf Wochen zum Endokrinologen, um mir die nächste Dosis Testosteron spritzen zu lassen. Das Testosteron bekomme ich als ölige Lösung in den Gesäßmuskel gespritzt – das ist schmerzhaft, aber aushaltbar. Bei jedem zweiten Termin, wird mir außerdem Blut abgenommen, um zu überprüfen, wie hoch mein Testosteronspiegel ist und wie der restliche Körper die Hormonzufuhr verträgt. Die Veränderungen der letzten 12 Monate haben sich stets schrittweise bemerkbar gemacht: bereits nach einigen Wochen befand ich mich im Stimmbruch, später begann sich meine Klitoris spürbar zu verändern – sie schwoll zu einem kleinen Mini-Penis heran. Was hat sich noch getan? Die Körperfettverteilung verändert sich: ich habe fast eine Körbchengröße Brustumfang verloren. Stattdessen sprechen mich viele auf meine breiten Schultern an und fragen, ob ich denn trainiere, um so fit auszusehen.

Was die Hormone psychisch mit mir machen, ist schwer zu sagen. Ich merke, dass meine Stimmung am Ende eines Intervalls häufig kippt: im Laufe der zehnten Woche bin ich oft müde, antriebslos und gereizt, und ich werde schneller krank als sonst. Ansonsten habe ich kürzlich die ersten Barthaare über meiner Oberlippe entdeckt – seit vier Wochen nehme ich Minoxidil, um den Bartwuchs zu beschleunigen. Bisher leider noch ohne große Erfolge, aber auch ohne gravierende Nebenwirkungen.

Ich bin gespannt darauf, welche Veränderungen das zweite Jahr Testosteron so mit sich bringen werden. Was ich in den vergangenen 12 Monaten gemerkt habe: dass ich mich sehr viel mit mir selbst, mit den Veränderungen meines Körpers und meinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen beschäftige. Zwischendurch muss ich immer aufpassen, nicht nur in meinem Kopf zu sein, sondern auch zu leben. Wenn ich zurückblicke auf diesen Menschen, der im Rock und etwas verloren im Wald steht, wünschte ich, ich könnte erklären, was eigentlich genau zu meiner Neugeburt führte. Aber ich kann es nicht wirklich – es war eine Mischung vieler Faktoren: ich überwand ganz viel Scham und Angst und hatte dabei tolle Unterstützung. Als ich zum ersten Mal meinen Linus-Becher zeigte, konnte ich noch mit niemandem darüber sprechen. Aber ich wohnte bei zwei Menschen, die das Foto des Bechers im Internet sahen und danach meinen Namen auf ihrem Klingelschild änderten – ohne Nachfragen und ohne den Wunsch nach Erklärungen. Danach outete ich mich auf der Arbeit, anschließend fand ich eine Therapeutin und im Februar 2018 begann ich damit, Hormone zu nehmen. Ich hatte viel Glück bei meinem Weg bisher und hoffe, dass meine Wünsche auch 2019 in Erfüllung gehen.

Aber es gibt auch immer noch Baustellen: ich möchte lernen, selbstbewusster aufzutreten. Ich möchte an meiner Körperhaltung arbeiten, an meiner Selbstsicherheit. Ich fühle mich tagtäglich wohler mit meinem Körper, kann mir aber nicht vorstellen jemanden zu finden, der sich mit mir wohl fühlen könnte. Es fehlt mir an Selbstvertrauen, vor allem auch an Vertrauen in meine eigenen Impulse, Bedürfnisse und Wünsche. Es liegt noch viel Arbeit vor mir, aber das fühlt sich gerade eigentlich ganz okay an.

Ich möchte kein Sonderzeichen sein

Zuletzt bin ich immer häufiger darüber gestolpert, dass hinter Begriffe wie Mann und Frau oder auch Vater und Mutter plötzlich ein Sternchen gesetzt wird. Meistens wird dieses Sternchen von sehr wohlmeinenden Menschen gesetzt, die eine inklusive Sprache nutzen wollen und auch wirklich alle mitmeinen möchten. Doch wer sind eigentlich Frauen*? Wer sind Männer*? Was unterscheidet einen Vater von einem Vater*?

Wer ist in diesem Sternchen überhaupt mitgemeint?

Die häufigsten Antworten darauf, die ich bisher erhielt, sind: „Ich möchte alle Frauen ansprechen, die sich als Frauen fühlen.“ Oder auch: „Mit dem Sternchen werden auch alle angesprochen, die keine biologische Frauen sind.“ Oder: „Das Sternchen meint alle mit, die sich als zugehörig empfinden.“ Aber werden Frauen – die sich als Frauen fühlen, die sich als Frauen empfinden, die Frauen SIND – nicht sowieso schon durch den Begriff Frau angesprochen?

Als trans Mann kann ich nur sagen: ich möchte kein Sonderzeichen sein. Ich bin kein Mann* und wäre ich ein Vater, würde ich nicht als Vater* bezeichnet werden wollen. Das Sternchen ist gut gemeint, aber es vergrößert nur den Graben – zwischen echten Männern und trans Männern, zwischen echten Frauen und trans Frauen – der sowieso schon von so vielen gezogen wird. Mein Vorschlag – statt nun einfach Sternchen an irgendwelche Worte zu klatschen –  wäre es, sich die Zeit zu nehmen, um explizit zu schreiben, wer hier eigentlich gemeint ist und mitgemeint werden soll.

Beim nächsten generischen Sternchen lohnt es sich darum auf jeden Fall, kurz innezuhalten und zu überlegen, wie die Formulierung präziser werden könnten. Auf wen trifft eine Aussage zu? Wen lade ich auf dieser Veranstaltung wirklich ein? An wen richtet sich jener Text? Meine ich Frauen? Oder nur cis Frauen? Oder Frauen und nicht-binäre Personen? Oder Frauen und Femmes? Oder Frauen und trans Männer? Oder nur Menschen, die eine Vulva haben? Oder nur Menschen, die menstruieren? Oder Menschen, die schwanger werden können? Oder Menschen, die sexualisierte Belästigung erfahren? Oder Menschen mit X-Erfahrung? Oder pauschal alle außer cis Männer? Alle Frauen, Lesben, inter und trans Personen? Dann sag es doch entsprechend.

Das Zitat stammt aus einem sehr schönen und empfehlenswerten Text zu der Thematik von Hengameh Yaghoobifarah, erschienen im Missy Magazin.

Lest den bitte mal und lasst in Zukunft doch das Sternchen weg.

Die Philosophin, Autorin und Journalistin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrer Streitschrift „Die potente Frau“: „Männer können nicht wissen, wie es ist, eine Vulva zu haben. […] Frauen wissen umgekehrt…

Wenn Journalist*innen über trans Themen schreiben

Gestern saß die Whistleblowerin Chelsea Manning bei der Internetkonferenz republica auf der Bühne und sprach über ihre Zeit im Gefängnis, die Gefahr und die Chancen neuer Technologien und ihre Arbeit als Aktivistin. Angekündigt war die Veranstaltung als Kamingespräch und das Schöne an der fast einstündigen Unterhaltung war, dass die Tatsache, dass Chelsea Manning eine trans Frau ist, keine Rolle spielte. Ganz am Anfang wurde sie gefragt, wie sie die ganze Transition verarbeitet hat – und im Nachsatz wurde klar gestellt, dass in diesem Fall die Wandlung von einer Inhaftierten in Isolationshaft hin zu einer öffentlichen Berühmtheit, die demnächst für den Senat kandidieren möchte, gemeint ist. Obwohl Chelsea Manning einige Male erwähnte, dass sie eine trans person  ist, spielte ihr Geschlecht ansonsten keine Rolle – auch die Nachfragen aus dem Publikum drehten sich einzig und allein um ihr heutiges Engagement, nicht um ihre Vergangenheit.

Im Anschluss an ihren Auftritt, erschienen in denen deutschen Medien zahlreiche Artikel über Chelsea Manning und dabei sind mir zwei Dinge aufgefallen:

  1. Deutsche Journalisten*innen gebrauchen immer noch das Wort Geschlechtsumwandlung. Das Wort Geschlechtsumwandlung darf und muss bitte ganz dringend wieder zurück in das vergangene Jahrhundert geschickt werden. Ich werde nicht erst durch eine Geschlechtsumwandlung zum Mann – in dem ich sozusagen operativ mein Geschlecht wandel – oder auch nicht, falls ich weder Hormone nehmen möchte noch eine Operation will. Der Punkt ist: ich bin bereits ein Mann und gleiche – je nach Wunsch – lediglich noch meinen Körper an. Es ist deshalb deutlich passender von Geschlechtsangleichung zu sprechen oder gleich den englischen Begriff Transition zu verwenden.
  2. Außerdem gibt es kaum einen Artikel, in dem der alte Name von Chelsea Manning nicht erwähnt wird. Der alte, abgelegte Name ist der sogenannte Deadname. Ein Deadname ist ein Deadname ist ein Deadname – ob er aus Böswilligkeit, aus Versehen oder als zusätzliche Erklärung verwendet wird, spielt dabei keine Rolle.

Diese beiden Beispiele sind aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und aus der Süddeutschen Zeitung – das positive Gegenbeispiel kommt aus dem SPIEGEL, der es schafft, einen ganzen Artikel über Chelsea Manning zu schreiben, ohne ihren alten Namen zu erwähnen und ihr Geschlecht zu thematisieren. Es ist also tatsächlich möglich!

Chelsea Manning ist der Name der Person, die all diese Dinge getan hat, bevor sie sich öffentlich als trans geoutet hat. Die Person, die diese Dinge getan hat, die Chelsea Manning tat, bevor sie sich outete, ist eine Frau. Es gibt keinen Grund in einem Artikel über ihre Arbeit als politische Aktivistin zu erwähnen, wie ihr früherer Name gewesen ist oder ob sie eine Geschlechtsangleichung hatte. Jedes Mal, wenn es doch wieder erwähnt wird, manifestiert sich die Vorstellung, dass Menschen von einem Tag auf den anderen mal eben ihr Geschlecht wandeln. Da mein alter, abgelegter Name auch öffentlich bekannt war – wenn gleich natürlich nicht so bekannt, wie der von Chelsea Manning – reagiere ich besonders empfindlich auf diese Art der Berichterstattung. Es ist unnötig, irrelevant und verletzend. Es ist auch keine komplizierte Zwickmühle für Journalisten*innen – der SPIEGEL macht ja vor, dass es problemlos gelingt, auch so einen verständlichen Artikel über Chelsea Manning zu veröffentlichen. Es gibt Menschen, die jedes Mal – wenn ich etwas zu diesem Thema schreibe – wieder argumentieren, dass die Nennung des alten Namens möglicherweise nötig sei oder zum Verständnis beitrage und ich kann dazu nur ganz klar nein sagen.

Chelsea Manning hat auf der Bühne viele kluge Sachen gesagt, eine der wichtigsten Sätze für mich, war: „Höre auf Erfahrungen, die du nicht hast.“ Ich bin ein Betroffener. Ich bin ein trans Mann. Ich erkläre immer wieder, was an der Verwendung des Deadnames – in welchem Kontext auch immer – verletzend sein kann. Und es fühlt sich unglaublich übergriffig an, wenn es Menschen gibt, die in keiner Form betroffen sind und dann trotzdem sagen: ich respektiere deine Meinung, aber ich sehe das anders. Es geht hier nicht um eine Meinung  – es geht darum, dass ich darum bitte, nicht verletzt zu werden.

Um es ganz hart auszudrücken: die Meinungen, Ansichten und Gedanken von cis Personen zum Thema Deadname sind völlig irrelevant. Wichtig ist: Betroffenen zuhören, Gefühle und Verletzungen respektieren und auf die Wünsche und Bitten derjenigen einzugehen, ÜBER die hier geschrieben wird.


Das Interview mit Chelsea Manning kann hier angeschaut werden.

Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung war eine unbearbeitete Agenturmeldung, es gibt noch einen weiteren ausführlicheren Text von Simon Hurtz.

Bitte nennt mich nicht mehr mutig!

Vor fast sechs Monaten outete ich mich auf meinem Buchblog als trans Mann und einer der häufigsten Sätze, den Menschen seitdem sagen, ist: „Du bist so mutig!“ Heute erkläre ich euch, warum dieses lieb gemeinte Kompliment etwas ist, das ich lieber nicht mehr hören möchte.

So richtig fiel es mir zum ersten Mal auf der Leipziger Buchmesse auf: ich ging durch die Messehallen und es kamen immer wieder wildfremde Menschen auf mich zu, um mir einfach mal zu sagen, wie mutig sie mich finden. Manche schoben noch hinterher, dass das bestimmt ein sehr schwerer Weg sei. Einen Weg, den sie sich selbst niemals vorstellen könnten. Bei all diesen Begegnungen habe ich mich immer höflich bedankt, weil ich nie wusste, wie ich anders reagieren sollte.

Seitdem ich öffentlich sage, dass ich trans bin, habe ich den Satz „Du bist so mutig“ in endlos vielen Variationen gehört. In den meisten Fällen kommt dieses lieb gemeinte Kompliment von Cis-Personen, denen es wichtig ist mir zu sagen, wie verdammt beeindruckt sie von meinem Mut sind und davon, dass ich mich traue, ich selbst zu sein und zu mir zu stehen, Es klingt wie ein Kompliment mutig genannt zu werden und ich glaube, dass alle, die mich mutig nennen, es auch als Kompliment meinen – sie möchten mir auf diesem Weg ihre Bewunderung und Unterstützung ausdrücken. Doch jedes Mal, wenn dieser Satz fällt, verfestigt sich die Vorstellung, dass sich das Leben und die Erfahrung eines trans Menschen fundamental von allem unterscheidet, was Cis-Personen erleben – und somit nicht normal ist. Würde man einem Cis-Mann sagen, dass er mutig ist, weil er die Kleidung trägt, in der er sich wohl fühlt? Würde man einem Cis-Mann sagen, dass er mutig ist, weil er Fotos von sich online stellt und von seinem Leben erzählt?

Als trans Mann zu leben, ist keine mutige Entscheidung, sondern eine notwendige. Ist es mutig, aus einem brennenden Gebäude herauszurennen? Ich finde: nein. Es bedeutet einfach nur, dass man nicht sterben möchte. Überlebenswille ist aber kein Mut. Mutig wäre der Feuerwehrmann, der in ein brennendes Gebäude geht, um andere Menschen zu retten. Das ich mich dafür entschied, diesen Weg zu gehen, war meine letzte Option. Ich gehe diesen Weg nicht, weil ich mutig und stark bin. Ich gehe diesen Weg nicht, weil ich eine Inspiration sein möchte. Ich gehe diesen Weg, weil es keinen anderen gibt für mich. Ich selbst zu sein und zu mir zu stehen, macht mich nicht zu einem mutigen Menschen, weil es nichts ist, für das ich mich wirklich entschieden habe.

Was mich selbst Mut gekostet hat, war mein Coming-Out. Es hat mich Mut gekostet, im Starbucks zum ersten Mal Linus zu sagen. Es hat mich Mut gekostet, mein erstes Herrenhemd zu kaufen. Es hat mich Mut gekostet, meinen Blogbeitrag zu veröffentlichen. Aber es kostet mich keinen Mut, dieses Leben jetzt zu leben. Ich freue mich, wenn ihr mir Komplimente für meine Kleidung macht. Ich freue mich über Komplimente für meine Frisur. Ich freue mich, wenn euch das alles nicht interessiert und ihr mit mir einfach nur über Bücher sprechen wollt. Aber ich möchte wirklich nicht mehr hören, dass ich mutig bin. Ich möchte weder mutig noch inspirierend sein, ich möchte einfach nur mein Leben leben.

Auch mein Umgang mit Hasskommentaren ist nicht mutig, er ist alternativlos. Es kommt für mich nicht in Frage, nicht mehr über mich zu sprechen. Es kommt für mich nicht in Frage, mich irgendwo abzumelden oder meine Accounts privat zu stellen.  Und es kommt für mich auch nicht in Frage, den Hass zu ignorieren. Es hilft mir nicht, wenn ihr das mutig findet. Kürzlich fragte mich jemand, was ich denn stattdessen gerne hören würde und ich habe lange über diese Frage nachgedacht. Wenn ich von Hasskommentaren berichte, gibt es viele Sätze, die ich als hilfreich empfinde:

  1. Es tut mir leid, dass dir das passiert!
  2. Diese Kommentare sind falsch und nicht zu akzeptieren!
  3. Ich kämpfe für dich und deine Sicherheit (und werde diese Kommentare melden)!
  4. Was für eine Unterstützung wünscht du dir gerade? Brauchst du Hilfe?
  5. Es ist nicht deine Schuld! Es ist nicht deine Schuld! Es ist nicht deine Schuld!
  6. Es liegt nicht an dir und dem, was du veröffentlichst, dass du diesen Hass erlebst!
  7. Das Problem bist nicht du, sondern der Hass!
  8. Ich bin für dich da und höre dir zu!
  9. Du musst dich und dein Verhalten nicht ändern, damit dir so etwas nicht nochmal passiert!

Also: ich bin weder mutig, noch stark, noch bewundernswert, sondern ich lebe einfach mein Leben. Ich hatte keine andere Wahl.


Es gibt übrigens auch einen tollen Podcast auf YouTube, der You are so brave heißt – reinhören lohnt sich!