Ich wünschte, ich müsste diesen Text nicht schreiben. Aber ich entschied mich dazu, es dennoch zu tun, da ich die Erfahrung machte, dass mir eine größtmögliche Offenheit immer geholfen hat. Um es kurz zu machen: Es geht um die Spendenaktion, die Freunde und Freundinnen von mir vor fast zwei Monaten ins Leben riefen und es geht darum, warum ich das gesammelte Geld nicht für einen Anwalt ausgeben werde.

Es ist fast acht Monate her, dass ich online zum ersten Mal zur Zielscheibe wurde. Ich erinnere mich noch gut, wie schockiert ich über die Beschimpfungen war und wie bedroht ich mich gefühlt habe. Der Trollangriff fühlte sich wie eine Welle an, die über mich hinwegschwappte. Damals glaubte ich naiverweise noch, dass diese Welle irgendwann zu Ende sein muss. Ich glaubte, dass diese Menschen irgendwann schon wieder den Spaß daran verlieren, mich zu verspotten.  Jetzt weiß ich, dass ich das völlig falsch eingeschätzt habe.

Einer von ihnen fragte mal, wann ich endlich verstehen werde, dass das Problem nicht ist, dass ich trans bin, sondern meine aggressive  Selbstdarstellung. Ein anderer sagte, der Hass würde sofort aufhören, wenn in meinem Profil nicht mehr der Satz steht: „Some men have vaginas, get over it.“ Mittlerweile verstehe ich, dass nicht ich das Problem bin. Das Problem ist, dass das, was ich mache, Aufmerksamkeit bekommt – meine Tweets werden geteilt, gefavt und kommentiert. Ich werde dazu eingeladen, Artikel zu schreiben, im Radio zu sprechen oder Vorträge zu halten. Für die Trolle scheint es eine Bedrohung zu sein, dass etwas, das sie selbst so sehr ablehnen, auf so viel Interesse und Bestätigung stößt. Und natürlich: für jemanden, der sein Mann-Sein sein ganzes Leben lang über seinen Penis definiert hat, ist es auch eine Bedrohung, wenn ich sage: ich bin ein Mann, auch wenn ich eine Vagina habe. In den Augen der Trolle verdiene ich nicht die Aufmerksamkeit, die ich erhalte – und muss deshalb gestoppt werden. Man beschimpfte mich also als Scheidenbub und Fotzenbengelchen, teilte auf Twitter die Adresse meines Arbeitsplatz und riet mir, in den folgenden Tagen lieber einen Sport-BH anzuziehen. Viele, die sich so etwas anhören müssen, verschwinden vermutlich irgendwann aus dem Netz. Ich bin bisher nicht verschwunden und spreche stattdessen immer wieder über meine Erfahrungen. Meine Trolle ärgern sich mittlerweile also nicht mehr nur über meine aggressive Selbstdarstellung als trans Mann, sondern auch noch über meine Selbstdarstellung als Opfer ihres Hasses.  Ich habe das Gefühl, dass es schon lange nicht mehr darum geht, dass ich ein trans Mann bin – es geht um mich.

Trolle wollen Aufmerksamkeit und Macht über das Leben ihrer Opfer. Wenn ich das, was sie tun zur Kenntnis nehme, wenn ich darauf reagiere oder darüber twittere, sitzen sie wahrscheinlich irgendwo vor ihren Rechnern und holen sich darauf einen runter. Viele propagieren deshalb immer noch den etwas altbackenen Ratschlag: „Don’t feed the troll.“ Meiner Erfahrung nach ist das ein völlig unsinniger und das Problem verkennender Ratschlag, weil ignorieren das Problem nicht löst.

Was ich in den letzten 8 Monaten gelernt habe

Ich lernte viel schneller zu blocken und stumm zu schalten. Es macht mir eine diebische Freude, Trolle stummzuschalten und mir vorzustellen, wie sie immer weiter ihr Gift unter meinen Tweets verspritzen und ich einfach nichts mehr davon lese. Was verstörend an all dem ist, ist die Energie und die Zeit, die Leute in mich stecken. Eine Beleidigung oder einen Hasskommentar auf Twitter zu schreiben, dauert vielleicht 20 Sekunden – die meisten davon nehme ich mir gar nicht mehr zu Herzen. Aber meinen Arbeitsplatz aufsuchen? Pakete schicken? Fotocollagen erstellen?  Leute stecken ein obsessives Maß an Aufwand und Energie in mich. Manchmal stört es mich deshalb auch, wenn Dinge online vorschnell als Hatespeech bezeichnet werden. Es gibt einen Unterschied zwischen Trollen, die schreiben, dass sie nicht an den Gender Pay Gap glauben – und Trollen, die versuchen in das reale Leben ihrer Opfer einzugreifen, um sie aus dem Netz zu mobben. Es gibt für das, was mir und so vielen anderen Menschen im Netz passiert, immer noch keinen richtigen Begriff: sprechen wir von Trollen? Von Hatern? Handelt es sich um Kritik? Um Beleidigungen? Um Hasskommentare? Um Mobbing?

Vor etwas mehr als vier Wochen habe ich einen Vortrag von dem YouTuber und Feministen Tarik Tesfu gehört, der von dem Hass erzählte, den er online erlebt und wie er damit umgeht. Er erzählte, dass er eine Supervision machte, um einen besseren Umgang mit den Kommentaren im Netz zu finden. Und er erzählte, dass er keine Sekunde Lebenszeit mehr in seine Hater stecken möchte, stattdessen möchte er Videos machen, Vorträge halten und andere Menschen empowern. Als ich das hörte, dachte ich: genau das möchte ich auch.  Ich möchte weiter sichtbar sein, ich möchte weiter Teile meiner Transition mit euch teilen können, ich möchte weiter Texte schreiben – und, was ich mir dabei immer wünsche: dass ich anderen Menschen damit ein klein wenig helfen kann.

Ich habe mich deshalb dafür entschieden, mit dem gespendeten Geld eine Supervision zu finanzieren, die ich bei einer Psychologin mache, die auf das Thema Hass im Netz spezialisiert ist. Ich informierte alle Spender und Spenderinnen über diesen Schritt und war sehr gerührt von all den lieben, bestärkenden Reaktionen. Ich glaube, dass dieser Schritt der beste Schritt im Kampf gegen meine eigene Hilflosigkeit ist. Denn solange die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Twitter nicht bereit sind, etwas gegen den Hass zu tun, der sich schwarmartig auf  ihrer Plattform verbreitet – in dem zum Beispiel Hatespeech strenger geahndet wird oder restriktiver gegen die Anonymität vorgegangen wird – kann ich nur für mich einen Weg finden, wie ich besser damit umgehe und wie ich mich selbst stärken kann, um weiter präsent und online zu sein. In meinem Fall sind alle bisherigen Ermittlungen nicht an der Bereitschaft der Polizei gescheitert, sondern daran, dass Twitter die Nutzerdaten der Trolle nicht herausgeben wollte.  Zu der Bereitschaft der Plattform gegen Hass vorzugehen, hat sich auch Shahak Shapira geäußert, der in einem Selbstversuch hunderte Kommentare meldete und nur in ganz wenigen Fällen überhaupt eine Antwort von Twitter erhielt. Es sind vor allem marginalisierte Menschen, die dem Hass auf Twitter schutzlos ausgeliefert sind. Während Nutzerinnen gesperrt werden, die in einem Tweet rund um die Diskussion über Mesut Özil schreiben, man müsste den DFB anzünden – können andere Nutzer und Nutzerinnen unbehelligt ihr Unwesen treiben und trans Menschen verspotten, beleidigen und beschimpfen. Ohne, dass irgendetwas dagegen unternommen wird. Die Onlineplattform them schlägt deshalb vor, dass Twitter zum Beispiel das Misgendern von trans Menschen als Hass einstufen sollte – das wäre sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin, trans Menschen online besser zu schützen. Es gibt übrigens auch zahlreiche prominente Opfer, die von den sozialen Kanälen weggemobbt und zum Schweigen gebracht wurden: zuletzt ist das Millie Bobby Brown, der Darstellerin in Stranger Things, passiert. Den Trollen ebenfalls zum Opfer fiel Kelly Marie Tran, die die Konsequenz zog, ihre ganzen Fotos von Instagram zu löschen.

Der Weg der Sichtbarkeit, für den ich mich mit meinem öffentlichen Outing entschied, hat einen Preis und ich kann mir nur immer mal wieder die Frage stellen, ob mir das, was ich tue, diesen Preis wert ist. Im Moment kann ich diese Frage ganz klar mit Ja beantworten. Und ich hoffe, dass ich Betroffenen mit diesem Beitrag ein klein wenig helfen konnte: es gibt Unterstützungsangebote, die einen stärker machen können – damit wir möglichst alle noch viel Zeit zusammen im Netz verbringen können.

16 Comments

  1. Lieber Linus, danke für diesen Artikel, danke für Deine Offenheit und viel Erfolg mit der Supervision!
    Mögest Du glücklich sein! Möge Dein Sein von Leichtigkeit erfüllt sein!

    • Linus Giese Reply

      Liebe Angelika,

      vielen lieben Dank für die netten Worte – ich werde hier auf jeden Fall ab und an berichten und wenn möglich auch ein paar Tipps weitergeben, wie man am besten mit Hass im Netz umgehen kann.

      Und: ich bin auf dem besten Wege dahin, einfach nur glücklich zu sein. Hat jetzt ja auch lang genug gedauert.

      Liebe Grüße
      Linus

  2. Lieber Linus,

    Danke für diesen tollen Beitrag. Ich finde es unheimlich wichtig über Hass im Netz zu sprechen, da so viel davon häufig nur von den Opfern dieser Hater wahrgenommen wird. Ich bin auf Twitter nicht sehr aktiv und als ich das erste Mal auf deinem Profil auf Hasskommentare gestoßen bin – du hattest sie geteilt – war ich unheimlich schockiert. Dass es Hass und Mobbing im Netz gibt, war mir klar… Aber welche kriminelle und organisierte Struktur das haben kann, war mir nicht bewusst.
    Deshalb danke! Dafür dass du es auf dich nimmst zur Zielscheibe zu werden, um aufzuklären. Egal zu welcher Minderheit in der Bevölkerung man gehört, es ist so wichtig gegen Widerstände anzugehen und Präsenz zu zeigen. Ich hoffe wirklich, dass du damit bald Ruhe findest und nicht ständig kämpfen musst.
    Liebe Grüße
    Lisa

    • Linus Giese Reply

      Liebe Lisa,

      vielen Dank für deine Rückmeldung – ich glaube, dass es online Strukturen gibt, die es ermöglichen, dass sich Trolle SO auf ihre wehrlosen Opfer stürzen können und ich würde mir sehr wünschen, dass mit der Zeit Strukturen geschaffen werden, um dagegen besser vorzugehen. Ich habe mich entschieden über das, was ich erlebe zu sprechen, um vielleicht anderen Menschen auch Mut zu machen.

      Solche Rückmeldungen wie deine, helfen mir dabei nicht den Mut zu verlieren. 🙂

      Liebe Grüße
      Linus

  3. Danke, Linus! Ich finde es zwar auch gut wenn die Trolle (oder wie auch immer man sie nennen will) rechtliche Konsequenzen zu spüren bekommen, aber einerseits ist der Aufwand selbst für eine Abmahnung einfach unverhältnismäßig, und zweitens ist es wie bei einer Hydra: dann mahnst du 10 von ihnen ab, kommen 20 neue die sich in Sicherheit wähnen…

    Richtig heftig finde ich da eher, was Nadine da abzieht. Die stalkt dich ja gewissermaßen durchs gesamte Netz, hinterlässt unter jedem Artikel von oder über dich direkt eine Menge hasserfüllte Kommentare um deinen Ruf zu schädigen, und hat eine super krasse Obsession mit dir entwickelt die ich absolut grenzüberschreitend und gruselig finde. Und das hält jetzt schon über so lange Zeit an… kann man gegen solche Menschen auch nichts tun? Oder stehst du was Nadine angeht einfach dermaßen drüber, dass du auf sie keine Energie verschwenden möchtest?

  4. Linus Giese Reply

    Liebe Leser und Leserinnen dieses Blogs,

    aus Gründen der Transparenz möchte ich kurz eines erklären: eine Buchbloggerin hat hier in 9 (!) Kommentaren ihre Sicht auf einen Konflikt erklärt, der überhaupt nichts mit meinem Beitrag zu tun hat. Ich habe mich dazu entschieden, den Kommentarstrang auszublenden und keine weiteren Kommentare dazu freizuschalten.

    Mein Blog, meine Party.

    Liebe Grüße
    euer Linus

  5. Pingback: Babsi taucht ab (Juli 2018) • BlueSiren

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