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Wie sich mein Körper durch das Testosteron verändert

In den Monaten, bevor ich meine erste Spritze Testosteron bekam, las ich viel darüber, wie sich mein Körper durch die Hormone verändern wird. Ich erfuhr, dass meine Stimme tiefer werden wird. Ich erfuhr, dass meine Körperbehaarung zunehmen wird. Doch bei all meinen Recherchen las ich nie darüber, dass sich auch mein Intimbereich verändern wird – nirgendwo las ich über den Wachstum der Klitoris.

Lange Zeit wusste ich nicht, dass die Klitoris durch die Hormone wachsen wird – bis ich an mir selbst Veränderungen feststellte und erst einmal sprachlos war. Welches Ausmaß das Wachstum hat, ist bei jedem trans Mann unterschiedlich. In der Regel wächst die Klitoris zwischen drei und sieben Zentimentern. Als ich auf Twitter von meinem neuen Minipenis erzählte, erfuhr ich, dass es dafür sogar einen Begriff gibt – Pentoris. Im englischen Sprachraum sprechen viele trans Männer auch vom t(estosterone)  dick, also dem Testosteron Penis.

Als ich zum ersten Mal Begriffe für das kannte, was mit mir vorging, wollte ich unbedingt herausfinden, wie unterschiedlich so ein Pentoris aussehen kann. Wie sieht ein Pentoris von jemandem aus, der schon länger Testosteron nimmt? Was kann ich erwarten? Worauf kann ich mich freuen?  Bei dieser Suche musste ich sehr schnell feststellen, dass es keine Bilder gibt. Ob ich in die Googlebildersuche Pentoris oder t-dick eingebe – das Ergebnis bleibt dasselbe: ich finde keine Bilder. Nichts. Überhaupt nichts. Kein einziges Bild. Während ich überall Brüste und Penisse sehe, finde ich kein einziges Bild meines zukünftigen Geschlechtteils. Irgendwann werde ich doch fündig: auf Tumblr gibt es porn blogs, in denen trans Männer den Wachstum ihrer Klitoris dokumentieren. Mich macht es traurig, dass das die einzige Möglichkeit sein soll, mir Bilder von meinem zukünftigen Körper anzuschauen.

Natürlich wird es auch jetzt wieder Menschen geben, die sagen: „Wie du unten rum aussiehst, interessiert höchstens deinen Sexualpartner, aber nicht die ganze Welt.“ Aber der Wunsch nach Repräsentation bedeutet für mich auch die Repräsentation des eigenen Körpers. Warum finde ich keine Bilder, auf denen ich sehen kann, wie mein zukünftiger Intimbereich aussehen wird? Mein Wunsch ist es, über alle Veränderungen meines Körpers zu sprechen und so viel wie möglich davon zu zeigen, damit es andere trans Männer in ein paar Jahren vielleicht leichter haben, wenn sie nach Begriffen wie Pentoris oder t-dick googeln.


Hier gibt es zwei Fotos eines trans Mannes, der seinen Intimbereich zeigt.  | Auf YouTube spricht Torben sehr offen über die Veränderungen seines Körpers. | Und auf diesem Tumblraccount werden  Fotos von trans Männern gesammelt.

Was ist eigentlich ein Deadname?

Als ich mich auf meinem Blog als trans outete, schrieb ich: Hallo, ich bin’s – Linus. Damit habe ich meinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass man mich in Zukunft Linus nennt – und nicht mehr bei meinem alten Namen. Dieser alte abgelegte Name wird von trans Menschen häufig auch als Deadname bezeichnet. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Begriff?

Mit dem Bergriff Deadname wird der abgelegte Name einer trans Person bezeichnet – Deadnaming bedeutet also das Ansprechen einer trans Person mit ihrem alten Namen. Es kann manchmal aus Versehen zum Deadnaming kommen, zum Beispiel wenn zu Beginn der Transition Freunden, Familienmitgliedern oder Kollegen unabsichtlich der alte Name herausrutscht. Der Deadname kann aber auch als Instrument von Macht genutzt werden: auf Twitter werde ich ganz häufig mit meinem alten Namen oder dem falschen Pronomen angesprochen – das sind dann Hasskommentare von Menschen, denen nichts anderes einfällt, als mir meine Identität abzusprechen, um mir weh zu tun. Und dann gibt es Menschen, die mit Absicht den alten Namen benutzen – ohne sich jedoch häufig darüber im Klaren zu sein, wie verletzend das für mich ist. Während der Leipziger Buchmesse sagte eine andere Bloggerin zu mir: „Ich hoffe, ich nenne dich nicht [alter Name].“ Mir ist es auch mal auf einem Podium passiert, dass der Moderator sagte: „Bekannt geworden bist du als [alter Name]“. Und in der Danksagung eines Buches steht: „Vielen Dank an Linus Giese, manche werden Linus noch unter [alter Name] kennen.“

Wenn ich in solchen Fällen darauf aufmerksam mache, dass es für mich nicht in Ordnung ist, wenn mein Deadname von anderen verwendet wird, kommt es in den meisten Fällen zu den immer gleichen Reaktionen – cis Personen argumentieren, 1.) dass ich mein altes Leben doch nicht wegwerfen kann, 2.) dass die Vergangenheit immer noch zu einem gehört, 3.) dass der alte Name doch nichts sei, das totgeschwiegen werden sollte und 4.) was steht denn eigentlich in deinem Personalausweis?

Es gibt trans Menschen, die ein entspanntes Verhältnis zu ihrem alten Namen haben. Ich habe das nicht. Kürzlich sortierte ich Kleidung aus, die ich nicht mehr tragen werde – es sind Kleidungsstücke, die jemandem anderen gehören. Jemandem, der ich niemals wirklich war, aber dreißig Jahre lang vorgab zu sein. Ich hätte die Kleidung auch einfach in meinem Schrank hängen lassen können, aber dort würde sie nur Platz wegnehmen für Dinge, die mir besser passen und in denen ich mich wohler fühle. Mit der Entscheidung, Linus zu sein, habe ich auch die Entscheidung getroffen, bestimmte Dinge zurückzulassen. Ich finde, dass es keinen passenderen Begriff als Deadname gibt, um einen Namen zu bezeichnen, der der Vergangenheit angehört. Jedes Mal, wenn mein alter Name genannt wird, schmerzt es mich – auch körperlich, ich bekomme Herzrasen und Schweißausbrüche. Ich bin Linus, mich gibt es seit 32 Jahren – ich habe mich nur erst jetzt herausgetraut. Ich bin nicht in dem Moment Linus geworden, als ich mich outete. Ich bin auch nicht in dem Moment Linus geworden, in dem ich meine Transition begann. Ich begann mit meiner Transition, weil ich bereits dieser Mensch war. Ich bin immer Linus gewesen, ich trug diesen Namen nicht mein ganzes Leben lang, aber Linus war immer der Mensch, der ich im Inneren war. Auch, wenn ich das gut zu verstecken wusste.

Also: in neunundneunzig Prozent aller Fälle, solltet ihr nicht den Deadname einer trans Person verwenden, außer sie hat euch das ausdrücklich erlaubt. In neunundneunzig Prozent aller Fälle ist es auch nicht in Ordnung, eine trans Person ohne ihren Willen öffentlich zu outen. Ich lebe offen als trans Mann und trotzdem möchte ich nicht, dass mein alter Name auf einem Podium genannt wird oder für unglaublich viele Menschen in einem Buch nachzulesen ist. Das fühlt sich übergriffig an und nimmt mir alle Kontrolle über mein Leben, meine Identität und meine eigene Geschichte.  In neunundneunzig Prozent aller Fälle ist es zudem schmerzhaft, wenn ihr darüber diskutieren wollt, ob man denn wirklich die eigene Vergangenheit wegwerfen sollte – meine Vergangenheit ist immer noch da, meine Erlebnisse, meine Erfahrungen und das Leben, das ich lebte, sind nicht ausgelöscht. Nur der Name hat sich geändert.

Viele fragen mich immer wieder: wie sollen wir denn über dein Leben vor deinem Coming-Out sprechen? Mich verwirrt diese Frage, weil ich mir nicht vorstellen kann, wann und in welchem Kontext wildfremde Menschen aus dem Internet über meine Vergangenheit sprechen sollten – aber wenn ihr das tun wollt, dann sprecht über mich als Linus und nutzt das richtige Pronomen. Wenn ihr über etwas sprechen wollt, was ich 2016 tat, ist mein Name immer noch Linus und das korrekte Pronomen er. Wenn ihr über etwas sprechen wollt, was ich 1999 getan habe, ist mein Name immer noch Linus und das korrekte Pronomen er.  Falls es für euch total wichtig ist zu betonen, dass ich 2016 noch einen anderen Namen trug als jetzt, solltet ihr euch fragen, warum es euch wichtig ist. Mir fällt dafür nämlich kein Grund ein.

Bitte nennt mich nicht mehr mutig!

Vor fast sechs Monaten outete ich mich auf meinem Buchblog als trans Mann und einer der häufigsten Sätze, den Menschen seitdem sagen, ist: „Du bist so mutig!“ Heute erkläre ich euch, warum dieses lieb gemeinte Kompliment etwas ist, das ich lieber nicht mehr hören möchte.

So richtig fiel es mir zum ersten Mal auf der Leipziger Buchmesse auf: ich ging durch die Messehallen und es kamen immer wieder wildfremde Menschen auf mich zu, um mir einfach mal zu sagen, wie mutig sie mich finden. Manche schoben noch hinterher, dass das bestimmt ein sehr schwerer Weg sei. Einen Weg, den sie sich selbst niemals vorstellen könnten. Bei all diesen Begegnungen habe ich mich immer höflich bedankt, weil ich nie wusste, wie ich anders reagieren sollte.

Seitdem ich öffentlich sage, dass ich trans bin, habe ich den Satz „Du bist so mutig“ in endlos vielen Variationen gehört. In den meisten Fällen kommt dieses lieb gemeinte Kompliment von Cis-Personen, denen es wichtig ist mir zu sagen, wie verdammt beeindruckt sie von meinem Mut sind und davon, dass ich mich traue, ich selbst zu sein und zu mir zu stehen, Es klingt wie ein Kompliment mutig genannt zu werden und ich glaube, dass alle, die mich mutig nennen, es auch als Kompliment meinen – sie möchten mir auf diesem Weg ihre Bewunderung und Unterstützung ausdrücken. Doch jedes Mal, wenn dieser Satz fällt, verfestigt sich die Vorstellung, dass sich das Leben und die Erfahrung eines trans Menschen fundamental von allem unterscheidet, was Cis-Personen erleben – und somit nicht normal ist. Würde man einem Cis-Mann sagen, dass er mutig ist, weil er die Kleidung trägt, in der er sich wohl fühlt? Würde man einem Cis-Mann sagen, dass er mutig ist, weil er Fotos von sich online stellt und von seinem Leben erzählt?

Als trans Mann zu leben, ist keine mutige Entscheidung, sondern eine notwendige. Ist es mutig, aus einem brennenden Gebäude herauszurennen? Ich finde: nein. Es bedeutet einfach nur, dass man nicht sterben möchte. Überlebenswille ist aber kein Mut. Mutig wäre der Feuerwehrmann, der in ein brennendes Gebäude geht, um andere Menschen zu retten. Das ich mich dafür entschied, diesen Weg zu gehen, war meine letzte Option. Ich gehe diesen Weg nicht, weil ich mutig und stark bin. Ich gehe diesen Weg nicht, weil ich eine Inspiration sein möchte. Ich gehe diesen Weg, weil es keinen anderen gibt für mich. Ich selbst zu sein und zu mir zu stehen, macht mich nicht zu einem mutigen Menschen, weil es nichts ist, für das ich mich wirklich entschieden habe.

Was mich selbst Mut gekostet hat, war mein Coming-Out. Es hat mich Mut gekostet, im Starbucks zum ersten Mal Linus zu sagen. Es hat mich Mut gekostet, mein erstes Herrenhemd zu kaufen. Es hat mich Mut gekostet, meinen Blogbeitrag zu veröffentlichen. Aber es kostet mich keinen Mut, dieses Leben jetzt zu leben. Ich freue mich, wenn ihr mir Komplimente für meine Kleidung macht. Ich freue mich über Komplimente für meine Frisur. Ich freue mich, wenn euch das alles nicht interessiert und ihr mit mir einfach nur über Bücher sprechen wollt. Aber ich möchte wirklich nicht mehr hören, dass ich mutig bin. Ich möchte weder mutig noch inspirierend sein, ich möchte einfach nur mein Leben leben.

Auch mein Umgang mit Hasskommentaren ist nicht mutig, er ist alternativlos. Es kommt für mich nicht in Frage, nicht mehr über mich zu sprechen. Es kommt für mich nicht in Frage, mich irgendwo abzumelden oder meine Accounts privat zu stellen.  Und es kommt für mich auch nicht in Frage, den Hass zu ignorieren. Es hilft mir nicht, wenn ihr das mutig findet. Kürzlich fragte mich jemand, was ich denn stattdessen gerne hören würde und ich habe lange über diese Frage nachgedacht. Wenn ich von Hasskommentaren berichte, gibt es viele Sätze, die ich als hilfreich empfinde:

  1. Es tut mir leid, dass dir das passiert!
  2. Diese Kommentare sind falsch und nicht zu akzeptieren!
  3. Ich kämpfe für dich und deine Sicherheit (und werde diese Kommentare melden)!
  4. Was für eine Unterstützung wünscht du dir gerade? Brauchst du Hilfe?
  5. Es ist nicht deine Schuld! Es ist nicht deine Schuld! Es ist nicht deine Schuld!
  6. Es liegt nicht an dir und dem, was du veröffentlichst, dass du diesen Hass erlebst!
  7. Das Problem bist nicht du, sondern der Hass!
  8. Ich bin für dich da und höre dir zu!
  9. Du musst dich und dein Verhalten nicht ändern, damit dir so etwas nicht nochmal passiert!

Also: ich bin weder mutig, noch stark, noch bewundernswert, sondern ich lebe einfach mein Leben. Ich hatte keine andere Wahl.


Es gibt übrigens auch einen tollen Podcast auf YouTube, der You are so brave heißt – reinhören lohnt sich!