Vor fast sechs Monaten outete ich mich auf meinem Buchblog als trans Mann und einer der häufigsten Sätze, den Menschen seitdem sagen, ist: „Du bist so mutig!“ Heute erkläre ich euch, warum dieses lieb gemeinte Kompliment etwas ist, das ich lieber nicht mehr hören möchte.

So richtig fiel es mir zum ersten Mal auf der Leipziger Buchmesse auf: ich ging durch die Messehallen und es kamen immer wieder wildfremde Menschen auf mich zu, um mir einfach mal zu sagen, wie mutig sie mich finden. Manche schoben noch hinterher, dass das bestimmt ein sehr schwerer Weg sei. Einen Weg, den sie sich selbst niemals vorstellen könnten. Bei all diesen Begegnungen habe ich mich immer höflich bedankt, weil ich nie wusste, wie ich anders reagieren sollte.

Seitdem ich öffentlich sage, dass ich trans bin, habe ich den Satz „Du bist so mutig“ in endlos vielen Variationen gehört. In den meisten Fällen kommt dieses lieb gemeinte Kompliment von Cis-Personen, denen es wichtig ist mir zu sagen, wie verdammt beeindruckt sie von meinem Mut sind und davon, dass ich mich traue, ich selbst zu sein und zu mir zu stehen, Es klingt wie ein Kompliment mutig genannt zu werden und ich glaube, dass alle, die mich mutig nennen, es auch als Kompliment meinen – sie möchten mir auf diesem Weg ihre Bewunderung und Unterstützung ausdrücken. Doch jedes Mal, wenn dieser Satz fällt, verfestigt sich die Vorstellung, dass sich das Leben und die Erfahrung eines trans Menschen fundamental von allem unterscheidet, was Cis-Personen erleben – und somit nicht normal ist. Würde man einem Cis-Mann sagen, dass er mutig ist, weil er die Kleidung trägt, in der er sich wohl fühlt? Würde man einem Cis-Mann sagen, dass er mutig ist, weil er Fotos von sich online stellt und von seinem Leben erzählt?

Als trans Mann zu leben, ist keine mutige Entscheidung, sondern eine notwendige. Ist es mutig, aus einem brennenden Gebäude herauszurennen? Ich finde: nein. Es bedeutet einfach nur, dass man nicht sterben möchte. Überlebenswille ist aber kein Mut. Mutig wäre der Feuerwehrmann, der in ein brennendes Gebäude geht, um andere Menschen zu retten. Das ich mich dafür entschied, diesen Weg zu gehen, war meine letzte Option. Ich gehe diesen Weg nicht, weil ich mutig und stark bin. Ich gehe diesen Weg nicht, weil ich eine Inspiration sein möchte. Ich gehe diesen Weg, weil es keinen anderen gibt für mich. Ich selbst zu sein und zu mir zu stehen, macht mich nicht zu einem mutigen Menschen, weil es nichts ist, für das ich mich wirklich entschieden habe.

Was mich selbst Mut gekostet hat, war mein Coming-Out. Es hat mich Mut gekostet, im Starbucks zum ersten Mal Linus zu sagen. Es hat mich Mut gekostet, mein erstes Herrenhemd zu kaufen. Es hat mich Mut gekostet, meinen Blogbeitrag zu veröffentlichen. Aber es kostet mich keinen Mut, dieses Leben jetzt zu leben. Ich freue mich, wenn ihr mir Komplimente für meine Kleidung macht. Ich freue mich über Komplimente für meine Frisur. Ich freue mich, wenn euch das alles nicht interessiert und ihr mit mir einfach nur über Bücher sprechen wollt. Aber ich möchte wirklich nicht mehr hören, dass ich mutig bin. Ich möchte weder mutig noch inspirierend sein, ich möchte einfach nur mein Leben leben.

Auch mein Umgang mit Hasskommentaren ist nicht mutig, er ist alternativlos. Es kommt für mich nicht in Frage, nicht mehr über mich zu sprechen. Es kommt für mich nicht in Frage, mich irgendwo abzumelden oder meine Accounts privat zu stellen.  Und es kommt für mich auch nicht in Frage, den Hass zu ignorieren. Es hilft mir nicht, wenn ihr das mutig findet. Kürzlich fragte mich jemand, was ich denn stattdessen gerne hören würde und ich habe lange über diese Frage nachgedacht. Wenn ich von Hasskommentaren berichte, gibt es viele Sätze, die ich als hilfreich empfinde:

  1. Es tut mir leid, dass dir das passiert!
  2. Diese Kommentare sind falsch und nicht zu akzeptieren!
  3. Ich kämpfe für dich und deine Sicherheit (und werde diese Kommentare melden)!
  4. Was für eine Unterstützung wünscht du dir gerade? Brauchst du Hilfe?
  5. Es ist nicht deine Schuld! Es ist nicht deine Schuld! Es ist nicht deine Schuld!
  6. Es liegt nicht an dir und dem, was du veröffentlichst, dass du diesen Hass erlebst!
  7. Das Problem bist nicht du, sondern der Hass!
  8. Ich bin für dich da und höre dir zu!
  9. Du musst dich und dein Verhalten nicht ändern, damit dir so etwas nicht nochmal passiert!

Also: ich bin weder mutig, noch stark, noch bewundernswert, sondern ich lebe einfach mein Leben. Ich hatte keine andere Wahl.


Es gibt übrigens auch einen tollen Podcast auf YouTube, der You are so brave heißt – reinhören lohnt sich!

5 Comments

  1. Peter-Wien-HH Reply

    Dass Sehe ich fast genauso wie du lieber Linus. Jeder hat das Recht so zu sein wie ER bzw. SIE bzw. ES sich Fühlt bzw. Ist!
    Also ist mein Persönliches Plädoye “ SEI WIE DU BIST UND NICHT WIE ANDERE DICH HABEN WOLLEN “
    Viele Liebe Grüße von Herz und Seel. Dein – Euer Peter.

  2. Mich hat mal jemand gefragt, ob ich wegen einer anderen Erkrankung die ich habe, die Hormonsubstituion nicht abbrechen will. Es war schwierig zu erklären, dass dies keine Alternative ist, weil mich dies auf andere Weise auslöschen würde. Es ist in einem drin, ob man will oder nicht. Aber das macht uns zu nichts besonderem. Es macht uns oft nur kampferfahrener, als viele andere Menschen. Das Ringen um das eigene Selbst ist ja nie leicht, wenn mensch gesellschaftlichen Normen nicht entspricht, trans Personen haben zusätzlich noch, mit Bürokratie und starken Vorurteilen zu tun. Das macht nachdenklicher und selbstreflektierter und im besten Fall auch toleranter anderen Lebensentwürfen gegenüber. Ich für mich, möchte als ganz normal gelten, als Mensch an dem “trans“ nur ein Teil seiner Persönlichkeit ist, der ansonsten aber ein Herz hat, wie alle anderen, den gleichen Hunger, die gleiche Liebe empfindet und den gleichen Kummer..und dessen Blut rot ist, wie bei allen anderen Menschen auch.

    • Peter-Wien-HH Reply

      Auch die lieber Igor gilt was ich dem Linus geschrieben habe. “ SEI WIE DU BIST BZW: SEI WIE DU DICH FÜHLST ! WAS ANDERE SAGEN / SCHREIBEN / DENKEN / TUN ODER GAR HANDELN IST SORRY SCHEIß EGAL : Auch dir Wünsche ich alles liebe und gute. L.G. Dein – Euer Peter.

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